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Melodie und Krrrrk

Mit und ohne Noten auf der Bühne: Das improvisierende Splitter Orchester traf am Sonntag im Radialsystem auf die Neue-Musik-Formation Ensemble Mosaik

Von Tim Caspar Boehme

Die Notenpulte waren eindeutig umzingelt. Im kleinen Kreis saßen die neun Musiker des Ensemble Mosaik auf der Bühne des Radialsystems. Um diese innere Sphäre herum formte das mit 23 Spielern zahlenmäßig deutlich überlegene Splitter Orchester einen Außenring. Sogar der Dirigent Ilan Volkov wurde von den Splitter-Instrumentalisten eingeschlossen.

Was war da los? Unter dem Titel „Public People“ kamen das Splitter Orchester und das Ensemble Mosaik am Sonntag für ein gemeinsames Konzert zusammen. Das Besondere daran: Wie beide Formationen in der Regel Musik machen. Während das Ensemble Mosaik auf zeitgenössische Musik spezialisiert ist, also von Komponisten notierte Werke aufführt, beruht die Musizierpraxis des Splitter Orchesters auf freier Improvisation.

Neue Musik (Ensemble Mosaik) traf, wenn man so will, auf Echtzeitmusik (Splitter Orchester), wie die speziell in Berlin entstandene Form des Musizierens ohne Partitur heißt. Das 2010 gegründete Splitter Orchester ist eine Allstar-Band der Echtzeitmusik und versammelt Musiker von verschiedenen Kontinenten, darunter diverse Australier wie die Trompeterin Liz Allbee, der Schlagzeuger Steve Heather, die Gitarristin Julia Reidy und der Pianist Simon James Phillips. Der Großteil des Orchesters stammt aus Europa, mit einem Schwerpunkt auf Deutschland.

Reidy und Phillips hatten gemeinsam mit dem US-amerikanischen Splitter-Kollegen Chris Heenan und der britischen Komponistin Alwynne Pritchard das Programm von „Public People“ gestaltet, wobei dem Ablauf nach zu vermuten ist, dass Pritchard den Anfang machte mit einem Stück für das Ensemble Mosaik. Das spielte nämlich als erstes und nach Noten, während die umsitzenden Musiker sich ruhig verhielten.

Anschließend übernahm das Splitter Orchester, wobei der unterschiedliche Charakter der Herangehensweisen sofort ohrenkundig wurde. Während die Dynamik des Stücks beim Ensemble Mosaik so herkömmliche Parameter wie Melodie und Rhythmus erkennen ließ, wichen diese Elemente beim Splitter Orchester lang gehaltenen Drones und allerlei Geräuschen, bei denen im Einzelnen nicht immer genau nachzuvollziehen war, von wem sie eigentlich hervorgebracht wurden.

Denn beim Splitter Orchester geschieht irre viel gleichzeitig, allerdings sind die verschiedenen Ereignisse, da sie eben meistens aus Liegetönen oder Nichttönen bestehen, für sich schwieriger zu identifizieren. Was dazu führt, dass beim Hören der Eindruck dominiert, einen durchgehenden Drone zu hören, auch wenn dieser permanent mutiert, dichter wird und allmählich anschwillt oder sich wieder auflockert und leicht abschwächt.

Darunter poppen dann verschiedene Inseln auf, wie das Krrrrk, das die Geigerin Biliana Voutchkova mit einer kurzen Drehbewegung ihres Bogens auf den Saiten erzeugt, das Bliuomödelidip von Marta Zapparolis Elektronik, das W-chrip – w-chrip – w-chrip des plattenlosen Plattenspielers, den Ignaz Schick bedient, oder das präzis überblasene Prrööööööt aus Kai Fagaschinskis Klarinette. Allein, die vielen diskreten Ereignisse aufzuzählen, hätte wenig Sinn.

Über weite Strecken des Abends blieb das Splitter Orchester unter sich. Erst gegen Ende der knapp anderthalbstündigen Darbietung fanden die Ensembles allmählich zusammen, variierten die Dynamik. Am schönsten, weil am überraschendsten, geriet der Schluss, in dem sämtliche Instrumentengruppen, Schlagzeug, Bläser, Saiteninstrumente und Elektronik, ein ruhig tropfendes Geflecht aus kurzen, perkussiven Klängen erzeugten. Bis es nach und nach verklang.

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