piwik no script img

berliner szenenEine radikale Maßnahme

Beim abendlichen Nachhausekommen um acht Uhr ist die Wohnung leer, das Kind noch beim Sport. Die straßenseitigen Fenster unserer Erdgeschosswohnung stehen weit offen, in der Luft hängt ein dubioser Geruch und überall in der Wohnung liegen Dinge, die dort sonst nicht liegen: Zigaretten im Bad, Deospray im Kinderzimmer, schwarze Krümel in der Küche, nasse Briefe auf der Heizung.

Vor ein paar Jahren hatten wir einen Wohnungseinbruch, deswegen reagiere ich auf offene Fenster extrem sensibel. Ich sichere die Spuren: bei den Zigaretten handelt es sich um selbstgedrehte Exemplare aus Früchtetee. Der Geruch kann so als eine Mischung aus Rauch und Deo identifiziert werden. Die Krümel und Flecke in der Küche weisen auf Kaffee hin. Ich vermute, die Kinder haben Kaffee gekocht und Teezigaretten geraucht und sich extrem cool gefunden. Leider ist der Kaffee umgekippt und hat die Tagespost komplett durchweicht, die deshalb auf der Heizung trocknen muss. Und gegen den Rauchgeruch haben sie Deo versprüht, quergelüftet und wegen der einbrechenden Dunkelheit vergessen, die Fenster hinter den geschlossenen Gardinen wieder zu schließen.

Ich beschließe eine Radikalmaßnahme, mache überall das Licht aus und lege mich ins Bett. Abendessen fällt heute aus, ich streike. Kurz darauf klingelt das Kind an der Tür. Es ist wie immer zu faul, seinen Schlüssel raus zu kramen. Ich bleibe liegen. Und dann passiert … nichts.

Nach ein paar Minuten geh ich auf der Straße nachsehen. Dort fährt das Kind laut heulend mit dem Rad auf und ab. „Ich dachte, die haben dich umgebracht“, ruft er mir entgegen. Wer? „Die Einbrecher! Ich hab die Fenster vergessen.“ Er ist völlig aufgelöst.

Das Kind ist jetzt sehr kleinlaut. Der Punkt geht an mich. Gaby Coldewey

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen