speichenbruch : Die Kunst des Dementis
Lance Armstrong hat leicht leugnen, weil die Welt-Antidopingagentur eine Chance verpasst hat
Larry King sah aus wie ein Alpenveilchen. Im lilafarbenen Hemd, samt passenden Hosenträgern, Kings Markenzeichen, interviewte er seinen Gast. Lance Armstrong trug eine Lederjacke und erweckte den Eindruck, als könne er bei der am Samstag beginnenden Vuelta de España um den Sieg streiten – wenn er denn wollte. Aber seine Karriere ist beendet. Armstrong hat derzeit anderes zu tun, als sich aufs Rad zu schwingen. Er übt Dementis. Auch in „Larry King live“ auf CNN dementierte der siebenmalige Gewinner der Tour de France, Epo-Doping betrieben zu haben.
Armstrong hat leicht leugnen, obgleich ziemlich sicher ist, dass in sechs Urinproben aus dem Jahr 1999 Spuren von körperfremdem Epo gefunden wurden und diese Proben nicht irgendwem, sondern dem Texaner zuzuordnen sind – wie L‘Equipe dargelegt hat. Es fällt Armstrong deswegen leicht, die Anschuldigungen abzustreiten, weil einiges verquer ist in diesem Fall, der im Code der Welt-Antidopingagentur Wada so nicht vorgesehen gewesen war.
Angefangen hatte es 2004 im französischen Kontrolllabor Châtenay-Malabry, wo noch B-Proben von den Frankreichrundfahrten der Jahre 1998 und 1999 lagerten. Das Labor, ein Vorreiter bei der Entwicklung des Epo-Tests, hatte seine Methode inzwischen verfeinert und erprobte sie am aufgetauten Alt-Urin. Dabei kam Erstaunliches heraus, jede Menge positiver Befunde, 40 im Jahr 1998 und zwölf im Folgejahr. Der Laborleiter Jacques de Ceaurriz informierte die Wada, genauer: deren Chef Richard Pound. Das geschah bereits vor Monaten. Pound zeigte sich interessiert, ging aber offenbar davon aus, dass die Ergebnisse anonym bleiben, weil es sich um eine wissenschaftliche Untersuchung gehandelt hat und die A-Proben längst entsorgt waren. Die Proben hätten zudem aus Gründen des Datenschutzes keinem Profi zugeordnet werden dürfen, argumentieren Sportrechtler.
Die Wada hätte jedoch, wenn sie an vorderster Front der Dopingaufklärung kämpft, versuchen können, die Ergebnisse intern auszuwerten, das heißt Namen herausfinden und die Recherchen mit DNA-Tests untermauern können. Aufgeflogene Profis hätten vorgeladen werden können. Dann wäre eine Modifizierung des Regelwerks fällig gewesen, damit die jüngsten Fälle nicht durch die Paragrafen fallen. Vielleicht hatte die Wada das alles vor, doch durch eine Indiskretion ist ihr die Sportzeitung L‘Equipe zuvorgekommen. Es ist deren journalistische Pflicht, brisantes Material zu verwerten; die Öffentlichkeit hat ein Recht auf derlei Enthüllungen. Aber das mögliche Prozedere, Armstrong sportrechtlich beizukommen, ihn den Toursieg von 1999 zu entreißen, wurde damit erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht. Der Geschäftsführer der Nationalen Antidopingagentur (Nada) in Bonn, Roland Augustin, sagte der taz: „Ich hätte mir gewünscht, dass die Daten so verwendet worden wären, dass man eine juristische Handhabe hat. Aber in der Kette gab es eben diese Indiskretion.“
Lance Armstrong wird nicht müde, die Verstöße gegen den Wada-Code zu benennen und bei Larry King kesse Sätze wie diesen unters Volk zu streuen: „Ich traue dem Labor überhaupt nicht. Ein Typ öffnet deine Probe, Jean-François Soundso, und dann ruft dich eine Zeitung an und sagt: Wir haben herausgefunden, dass du sechs Mal positiv auf Epo warst. Seit wann klagen Zeitungen Sportler an?“ Die Frage lässt sich leicht beantworten: Wenn Dopingagenten die Reihen nicht geschlossen halten und noch dazu die Kreativität und Flexibilität von Fahndern vermissen lassen, dann prangert eben eine Gazette Dopingsünder an.
Die Welt-Antidopingagentur hat eine Chance verpasst. L‘Equipe indessen nicht.
MARKUS VÖLKER