: Soziologie des Zwischen
Frauenporträts, Heimatdorf und das Dazwischen des Waldes: Zum 60. Geburtstag Jitka Hanzlovás sind in Wolfsburg und Braunschweig Serien der tschechischen Fotografin zu sehen
Von Bettina Maria Brosowsky
Wie fotografiert man eigentlich einen Wald? Man könnte sich auf eine schöne Szene konzentrieren, vielleicht gibt es eine überraschende Lichtung, eine Anhöhe, einen See. Oder „Buchen im Herbstkleid“, die aufgefordert werden, zu posieren, wie es der britische Kunstkritiker John Berger einmal ins Spiel brachte, um die Nähe der Naturfotografie zur Modestrecke darzustellen. Eine andere Weise wäre es, den Wald aus dem Inneren heraus aufzunehmen, dem „tiefen Inneren eines Waldes, wahrgenommen, wie eine Hand das Innere des Handschuhs wahrnimmt, in dem sie steckt“, so Berger weiter.
Er fand diese Charakteristik in einer Serie der tschechischen, in Deutschland lebenden Fotokünstlerin Jitka Hanzlová. Ein Auszug aus besagter Serie „Forest“ ist nun im Braunschweiger Museum für Photographie zu sehen, das zusammen mit der Städtischen Galerie Wolfsburg eine zweiteilige Ausstellung zum 60. Geburtstag Hanzlovás ausrichtet. Und da Hanzlová ihre Arbeiten immer in Bildfolgen denkt und anlegt, werden in Braunschweig noch „Rokytník“, ihre inzwischen berühmten visuellen Bestandsaufnahmen des Dorfes ihrer Kindheit aus der Perspektive der 1990er- Jahre präsentiert sowie weitere Naturaufnahmen von Pferden, Pflanzen, Insekten. Wolfsburg steuert vorrangig Porträts bei, auch offener gefasst, so als Bewegungsstudien von Pferden.
Um bei John Berger zu bleiben: Er registrierte noch etwas anderes in den Waldbildern Hanzlovás: einen zeit- und gravitationsfreien Raum, ein „Dazwischen“. Denn was ist ein Wald anderes, als das, was zwischen seinen Bäumen existiert? Vielleicht noch zu physisch gedacht, sah Berger im Wald darüber hinaus einen Ort des Geheimnisvollen, Verborgenen, nicht Greifbaren, das jeder Besucher sofort empfindet, dessen ungeschriebene Zeichen aber vielleicht gerade mal Förster oder Jäger zu entschlüsseln verstehen.
Und ein derartiger Schwebezustand scheint vielen Fotografien und Werkgruppen Hanzlovás innezuwohnen – wie schon der Ausstellungstitel „Between Continuum“ bekunden soll.
Jitka Hanzlová wurde 1958 in Ostböhmen geboren, entfloh 1982 dem kommunistischen Regime und studierte zwischen 1987 bis 1994 unter anderem Fotografie an der Folkwangschule Essen. Sie hatte sich nie vorstellen können, Künstlerin zu werden, sagt sie, dieser Riesenanspruch hätte einen Verlust ihrer Freiheit bedeutet. Seit der Kindheit faszinierten sie jedoch Bilder, etwa in Märchenbüchern, der tschechische Film hat dazu ja ein ganz eigenes Genre entwickelt. Und sie wollte immer mit Menschen zu tun haben, nennt, wenn überhaupt ein Vorbild in der Fotografie, so die große US-amerikanische Porträtistin Diane Arbus.
Hanzlová scheint zudem mit äußerst angespanntem Sensorium durchs Leben zu gehen, sodass ihre erste fotografische Aktion, noch während des Studiums, aus der mehrmaligen Rückkehr in ihr Heimatdorf Rokytník bestand, was ihr erst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs möglich wurde. Dort schien die Zeit vollkommen stehen geblieben zu sein. „Es wird so nicht bleiben, halte das besser mal fest“, sei der spontane Entschluss gewesen, sagt Hanzlová.
Besonders ihr einstündiges, nun erstmals gezeigtes Filmmaterial aus verschiedenen Aufenthalten entführt in eine entrückte Welt voll glücklicher Hühner im privaten Grün, eines störrischen Rindviehs in bäuerlich liebevoller Einzelhaltung und einer ökonomisch sehr bescheidenen, aber überwältigenden Lebensfreude, vor allem der Kinder – Bilder, wie man sie in der nicht nur agroindustriell durchorganisierten DDR wohl nirgends hätte finden können. Sie sei zurückgegangen, um in die Zukunft sehen zu können, so Hanzlová abschließend, aber heute wäre diese Position bewusster Distanz nicht mehr möglich.
Es folgten lang anlegte Porträtserien zu Frauen: „Female“, die zwischen 1997 und 2000 an verschiedenen internationalen Orten entstand; und „Brixton“, 2002 im südlichen Teil Londons aufgenommen. Dafür sprach Hanzlová Frauen direkt auf der Straße an, wobei sie in den USA mitunter skeptisch irritierte Reaktionen bekam, und porträtierte ihre Protagonistinnen dann im öffentlichen Raum. Stets vertrauensvoll, nie an zu viel Privatem interessiert, verdichten ihre Aufnahmen sich zu einprägsamen Folgen ruhiger Bilder. „Eine Soziologie des Weiblichen“, schrieb Ex-taz-Kunstkritiker Ulf Erdmann Ziegler 2001 in einer Rezension, „von der man erst jetzt weiß, dass sie vorher gefehlt hat“.
Diese offene situative Methodik verlässt Hanzlová nun in ihren neueren Arbeiten. Die Porträts „There is Something I don’t know“ bezogen ihren Impuls aus einem Ausstellungsprojekt in Italien und beziehen sich explizit auf die Porträtmalerei der dortigen Renaissance. Hanzlová suchte nach adäquaten Modellen in Leonardo da Vincis Heimat, die sie dort auch antraf.
Oder sie inszeniert für „Vanitas“ morbid welkende Blüten und eine einsame Spinne, stellt sie vor dunklem Hintergrund zum Memento Mori frei. Und spielt so auch auf bibliophile Florelegien – Blütenlesen – an. Das sind große kunstgeschichtliche, seelenkundliche und emotionale Programme – immer ins statuarische Hochformat gefasst.
„Jitka Hanzlová. Between Continuum“: Bis zum 2. Dezember, Museum für Photographie Braunschweig und Städtische Galerie Wolfsburg. Zur Ausstellung erscheint die Monografie „Vanitas“
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