Das Leiden der Kunst

Die elfte Ausgabe des Dokuarts-Festival zeigt im Zeughauskino noch bis Sonntag Dokumentarfilme zur Kunst. Alle Filme sind erstmalig in Berlin zu sehen, die meisten davon als Deutschlandpremieren

Tiefgründig und ironisch: Michel Houellebecq und Iggy Pop in Erik Lieshouts „To Stay Alive – A Method“ Foto: Erik Lieshout, Contact Film

Von Alicja Schindler

Kunst und Leid können auf unterschiedliche Weise zusammenkommen. Kunst kann Leid darstellen. Es heilen. Auch davon ablenken. Der Film ist ein Medium, über Kunst zu reflektieren. Es ist bezeichnend, dass junge FilmemacherInnen ihren ersten Film oftmals Kunst oder KünstlerInnen widmen. Seit 2006 verschreibt sich das Dokuarts-Festival diesem Zusammenhang. Drei Filme, die das Festival noch zeigt, thematisieren Kunst und Leid. Unterschiedlicher könnten sie nicht sein.

Der Filmessay „To Stay Alive – A Method“ soll seinem Titel nach ein „Feelgood Movie About Suffering sein“. Ein Paar, so ungleich wie die beiden Protagonisten: Punkveteran Iggy Popp trifft auf Literat Michel Houellebecq. Regisseur Erik Lieshout verfilmte ein Pamphlet des Autors über Kunst und Depression. In Szenen zwischen Musikvideo, Rezitativ und Spielszene, liest Iggy Pop mit Grabesstimme und ironisch-tiefgründigen Blicken als geschichtenerzählender Punkstar-Opa mit knochig-eingefallenen Wangen, langen Haaren und Lederjacke aus dem Essay, das Überlebenstipps für Künstler gibt.

Dazwischen zeigt die Kamera das trostlose Leben der drei Künstler, die Houellebecq zu dem Essay inspirierten. Einer leidet unter Paranoia, der zweite ist depressiv, die dritte schizophren. Trotzdem, oder gerade deswegen, machen sie Kunst. Sezierend umkreist die Kamera die Wohnungen und Ateliers, in denen die Künstler von ihrem Leid erzählen. Oft ist das Filmbild so still, dass es einer Fotografie gleicht. Und es geradezu verwundert, wenn die Figuren es schaffen, sich aus dem Stillstand zu lösen und in eine Bewegung überzugehen. Sichtbar wird ihr Bemühen in einer Welt, die sich nicht weiter um sie kümmert. Als würde man versuchen, durch Honig zu schwimmen. Die Masse verbleibt in ihrem Urzustand. Egal, wie sehr man sich abstrampelt. Diesen Urzustand benennt Houellebecqs Essay: das Leiden.

Als würde man versuchen, durch Honig zu schwimmen. Die Masse verbleibt in ihrem Urzustand

Nicht so schonungslos-grell, sondern eher in Kerzenlicht und Rotwein getaucht, ist Angie Chens Film: In „I’ve Got the Blues“ begleitet die Filmemacherin den Hongkonger Alltag ihres Freundes und Künstlers Bank Wong. Ehrlicher könnte ein Film nicht sein, in dem die Konflikte zwischen Porträtiertem und Regisseurin nicht herausgeschnitten, sondern zum Kernthema gemacht werden. Regelmäßig sabotiert der Maler auf unterhaltsame Art das Werk der Filmemacherin. Hier prallen zwei Arbeitsweisen aufeinander: die Kunst des Filmemachens und die Kunst des Malens. Dabei entstehen Fragen wie: Brauchen wir eine Berufung? Welche Rolle spielt dabei Geld und wo ist die Grenze zwischen Leben und Beruf? „To help people suffer“, antwortet Wong, wenn Chen ihn nach seiner Motivation für sein Kunstschaffen fragt.

Eine dritte Perspektive auf Leid und Kunst eröffnet der US-Film „The Price of Everything“ von Nathaniel Kahn. Als Sohn des Architekten Louis Kahn, über den er seinen oscarnominierten Erstlingsfilm „My Architect“ drehte, konnte der Regisseur Sammlern, Händlerinnen, Galeristen, Künstlern, Kuratorinnen und Kunsthistorikerinnen über die Schulter schauen. Den Rhythmus des zackig gedrehten Films geben die Stimme des Auktionators bei Sotheby’s und seine kurz aufeinander folgenden Hammerschläge, zwischen denen sich die Geldsummen im Sekundentakt ins Unermessliche steigern, vor. An diesen Orten ignoriert Kunst Leid. Eine schillernde Blase, in der Werke für siebenstellige Summen verkauft werden. „I want more“, sagt eine Frau mit aufgespritzten Lippen. Es ist schwer, angesichts dieser sich selbst ins Groteske steigernden Kunstmarktwelt kein Leid zu empfinden.

„I‘ve Got the Blues“ heute, 20 Uhr; „To Stay Alive“, 19. 10., 21 Uhr und „The Price of Everything“ am 20. 10. um 20.30 Uhr, Zeughauskino