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Meeresrauschen per Handgriff

Vom Streichen und Streicheln, Wischen und Wahrnehmen: Das Ausstellungsprojekt „Touch“ in der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst nimmt Berührung als eine ambivalente Geste der Gegenwart ins Visier

Von Julia Gwendolyn Schneider

Eine Hand streichelt eine Katze. Gewissermaßen zumindest: Der Kurzfilm von Florian Meisenberg zeigt eine Katze, die sich in einem Schaufenster aufhält. Die Hand berührt nur die Scheibe. Den Austausch scheinen trotzdem sowohl die Person als auch die Katze zu genießen. Zu sehen ist die Arbeit in der Ausstellung „Touch“, zu sehen aktuell in der nGbK. Diese zeigt zeitgenössische Kunst, bei der Berührung im Fokus steht. Passend zur Dauerpräsenz von Touchscreens ist dabei das Berühren von technischen Geräten ein wesentlicher Aspekt. Das Kuratorenteam fragt danach, welchen Einfluss das Bedienen von Smartphones und anderen taktilen Technologien auf den Körper, die Kommunikation und das Verständnis von Berührung hat.

Im Katzenfilm spiegelt sich die Illusion der Berührung wider, die über digitale Geräte erzeugt wird. Das Streichen über einen Touchscreen kommt der Geste des Streichelns schließlich recht nahe. Dabei kann die Urerfahrung des Streichelns in eine ökonomische Strategie überführt werden, die Nutzer stärker an Waren bindet als das umständliche Tippen auf Tasten.

In seiner zweiteiligen Videoarbeit „What Shall We Do Next?“ (2007–2011 und 2014) geht Julien Prévieux auf die Geschichte der Patentierung physischer Gesten ein, wie das Wischen und Heranzoomen. Die Arbeit betont, wie Gesten zu kommerzialisierten Normierungsapparaten werden, die die menschliche Kommunikation mit Displays steuern. Ein Animationsfilm zeigt ein Archiv gestenbasierter Bedienungen, die beim Patentamt der Vereinigten Staaten urheberrechtlich geschützt wurden, um sie künftig zu nutzen. Im zweiten, sehr sehenswerten Teil, verwandeln sechs Performer die patentierten Handgesten in Tanznota­tio­nen und unterwandern damit die praktische Funktion.

„Phone Etching“ (2015) von Andrea Büttner benutzt Fingerspuren, die die Künstlerin auf ihrem Smartphone-Display hinterlassen hat. Die Spuren des manuellen Wischens wurden stark vergrößert und in eine Radierung übertragen, die an gestisch abstrakte Malerei erinnert. Geschickt zeigt die Künstlerin eine massenhaft vollzogene Geste, die als individueller Ausdruck normalerweise unsichtbar bleibt. Vielleicht verweisen die Fingerabdrücke aber auch auf die persönlichen Spuren, die man unbewusst im Netz hinterlässt?

Stephanie Kiwitts fotografische Arbeit thematisiert die gesellschaftliche Transformation, die mediatisierte Prozesse in der Arbeitswelt auslösen. Bei den Tagelöhnern einer Werft in Antwerpen fällt durch den Gebrauch von Tablet-Computern – mit denen die Arbeiter nun von zu Hause aus anheuern – der Moment des gemeinsamen Wartens am Morgen weg. Kiwitts Fotografien halten das Warten und Anheuern der Hafenarbeiter wie auch die Einführung in die digitale Anheuerung fest – mit einem Anteil nehmenden Blick, frei von einer direkten Bewertung.

Stärker als umständliches Tippen bindet das Streichen über Oberflächen den Nutzer an eine Ware

Gegen das Diktat des Visuellen in der bildenden Kunst richten sich zwei sehr unterschiedliche Arbeiten. Ruth Buchanan kommentiert einen museums­pädagogischen Film aus den 1970er Jahren, der Kinder in physischer Interaktion mit musealen Exponaten zeigt. Ein Angebot zum aktiven Berühren von Objekten geht auch von Cevdet Ereks Soundarbeit aus. Ein Stück Teppich, das wie ein Gemälde an der Wand aufgehängt ist, fordert dazu auf, mit den Händen darüberzustreichen, um eine Art Meeresrauschen zu erzeugen.

Zentral für die Thematik der Ausstellung ist auch die Arbeit von Maja Zimmermann. In Gesprächen mit Personen, deren Arbeitsalltag auf physischer Berührung basiert, wird deutlich, wie komplex das Zusammenspiel von Selbstbestimmung, Abgrenzung und die Versicherung körperlicher Präsenz ist. Während man in der Touchscreengesellschaft zunehmend auf die Oberfläche fokussiert ist, wächst das Angebot an Körper- und Heilpraktiken. Auch verweisen die Kuratoren auch auf das Netzkultur-Phänomen ASMR – kurz für Autonomous Sensory Meridian Response –, ein beruhigendes Kribbeln auf der Haut, das etwa das Knistern von Papier oder das Kneten von Teigmasse auslösen kann. Bevor die eigentliche Ausstellung beginnt, wird das Phänomen anhand einer YouTube-Playlist und eines Insta­gram-Feeds präsentiert. Obgleich ASMR unzählige Klicks erzeugt, ist es als Phänomen noch unerforscht.

Mit dieser Ouvertüre stellen die Ausstellungsmacher eine wichtige Frage in den Raum, auch wenn sie ihre Ausstellung nicht explizit darauf ausgerichtet haben, diese zu erkunden: Was würde es bedeuten, wenn sich tatsächlich eine Verschiebung der Wahrnehmung anbahnt – und wir Befriedigung zunehmend in virtuellen Formen der Berührung finden?

„Touch“, nGbK, Oranienstr. 25, bis 18. November

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