: Natur statt Plastik
Schon lange gibt es Alternativen zu Plastik. Die Naturfaser Sisal gehört dazu. Besuch bei einem afrikanischen Produzenten
Von Dierk Jensen
Alle reden über Plastik, ob Mikro oder Makro, aber nur ganze wenige sprechen über Naturfaser. Dabei können Flachs, Hanf, Jute, Kokos und eben auch Sisal in vielen Bereichen des Lebens die synthetischen Fasern aus der Welt der Petrochemie problemlos ersetzen. So nutzt man Sisal, gewonnen aus den Blättern der Agave sisalana, für die Herstellung von Garnen, Seilen, Tauen, Teppichen, Faserverbundstoffen in Automobilien oder auch Geotextilien.
Der Güterbahnhof von Tanga wirkt heute etwas derangiert. Stillgelegte Gleise, leere Güterschuppen, wenig Warenverkehr. Das war früher mal ganz anders; einst brachten unzählige Güterzüge die auf den Agavenplantagen im Hinterland geernteten Sisalfasern in die Hafenstadt im Norden von Tansania, um von dort in alle Welt verschifft zu werden. Das goldene Zeitalter der „blonden Faser“ ist jedoch definitiv vorbei. Spätestens seit den 1970er-Jahren, als die Hersteller synthetischer Fasern wie Polypropylen (PP) auf Basis von Erdöl zu ihrem folgenreichen Siegeszug ansetzten, brachen für die tansanischen Sisalproduzenten – wie in anderen Ländern auch – die Märkte weg. Viele Plantagen wurden verlassen, die Produktionsmengen schrumpften. Und dennoch, trotz der Plastikkonkurrenz gehört das ostafrikanische Land zu den Ländern, die weiterhin Sisalfasern exportieren. Einer der aktiven Akteure ist die D.D. Ruhinda & Company Ltd mit Sitz in Tanga, die am Fuße der Usambaraberge eine große Sisalplantage betreibt. Obgleich das Wetter auch im Norden Tansanias in den letzten beiden Jahren verrückt spielte, operiert man bislang mit Erfolg: Mehr als 300 Mitarbeiter ernten die stachligen, grünen Blätter der Agave sisalana.
Sisal war einst das wichtigste Exportgut Tansanias. Das von Vater und Sohn Ruhinda geführte Unternehmen will die Branche wieder zu alter Größe zurückführen. Ein schwieriges Unterfangen, weil sich Maschinenbau und Forschung seit vielen Jahren von diesem Segment abgewandt haben. Nicht modern genug, hieß es. Doch in Zeiten des Klimawandels und wachsender Plastikmengen könnte die Faser wieder mehr Beachtung finden, hofft Seniorchef Damian Ruhinda.
Die Marktlage sei gar nicht so schlecht, verrät Ruhinda, denn die internationale Nachfrage nach der Naturfaser steigt insgesamt wieder an. So beliefert die tansanische Firma diverse Abnehmer in den arabischen Staaten, in China, Indien, aber auch in Europa. Während die Araber die Faser als Strukturmaterial im Gipsbau verwenden, verarbeiten die Inder die Faser überwiegend zu Teppichen.
Große Hoffnung setzen die Ruhindas auf die Rückbesinnung der internationalen Fischerei und auch Schifffahrt auf Tauwerke, die aus Naturfasern gedrechselt werden. Tatsächlich gibt es Absichtserklärungen von Schifffahrtsorganisationen in Australien und Neuseeland, die den Einsatz von synthetischen Tauen verbieten lassen wollen, weil sie einfach nicht verrotten und deshalb die Meere vermüllen.
Die in Indien mit afrikanischem Sisal gefertigten Teppiche – entweder pur oder mit Jute vermischt – bietet unter anderem auch das schwedische Möbelhaus Ikea in Deutschland an. „Aber auch in der Landwirtschaft findet Sisal als Bindegarn weiterhin Verwendung, ebenso in Baumschulen“, berichtet Oliver Reimer-Wollenweber, Direktor Hartfaser beim Hamburger Handelsunternehmen Wilhelm G. Clasen GmbH & Co KG, von weiteren Einsatzbereichen hierzulande. „In einigen Geschäftsbereichen zieht die Nachfrage sogar an, beispielsweise entdecken immer mehr Zulieferer von Autoherstellern die Vorteile, die die Sisalfaser bietet“, hebt Reimer-Wollenweber hervor.
Limitierender Faktor des Absatzes, daran lässt der norddeutsche Faserexperte gar keinen Zweifel, sei aber immer der Ölpreis, der durch das aggressive Fracking in den letzten Jahren in den USA lange niedrig blieb. „Ab einem Ölpreis von 90 Dollar pro Barrel wird das petrochemische Granulat für die Herstellung von Polypropylen so teuer, dass es das preisliche Niveau von Naturfasern erreicht hat“, konstatiert Oliver Reimer-Wollenweber eine noch auf sich warten lassende Substitutionswelle. Wenn sie aber käme, würde dies nicht nur die Plastikmengen in den Meeren vermindern helfen, sondern auch dem gegenwärtig eher verschlafen wirkenden Tanga positive Impulse geben.
Was möglich sein könnte, demonstrieren die Daten eindrucksvoll: In den sechziger Jahren erreichte die weltweite Sisalproduktion ein jährliches Volumen von 2,5 Millionen Tonnen, gegenwärtig liegt sie bei nur einigen Hunderttausend Tonnen. Für den nachwachsenden Rohstoff, der Kohlendioxid bindet, ist also noch viel Luft nach oben.
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