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„Einen Dornröschenschlaf geschlafen“

Über die Chancen, die ein älter werdendes Publikum bietet, realistische Erwartungen abseits der Metropolen – und den gelegentlichen Grund zur Vorfreude: ein Gespräch mit Andreas Döring, Intendant des Celler Schlosstheaters

Foto: Benjamin Westhoff

Andreas Döring, Jahrgang 1968, spielte unter anderem am Schauspielhaus Zürich. Von 2004 bis 2013 war er Intendant des Jungen Theaters Göttingen. Seit der Saison 2014/15 leitet er das Schlosstheater Celle.

Interview Alexander Diehl

taz: Herr Döring, Sie haben unter anderem schon in Zürich gearbeitet. Gibt es Unterschiede zwischen einer großen und einer kleinen Stadt, wenn man Theater macht?

Andreas Döring: Als Schauspieler war ich ja nicht verantwortlich fürs Programm. Und, ehrlich gesagt, in jungen Jahren hab ich mir manche Fragen auch nicht gestellt. Als Theaterleiter habe ich einen Unterschied festgestellt zwischen Celle und Göttingen, wo ich zuletzt gearbeitet habe …

… Sie waren Intendant am Jungen Theater …

… am zweiten Theater, der Alternativen zum kommunalen Theater – das ist auch noch mal eine andere Perspektive. Von daher sind meine Vergleichsmöglichkeiten eher begrenzt. Die Frage für mich hier lautet: Welche Aufgaben hat Theater in so einer kleineren Stadt – mit Regionalbezug, also mit Bezug auch zur Fläche zu arbeiten, was ja zum Auftrag dazugehört? Aber ich kann Ihre Frage trotzdem versuchen zu beantworten.

Nur zu!

In einer kleinen Stadt hat der Rücklauf darüber – was funktioniert, was nicht, was wird angenommen, was nicht – viel stärkere, schneller erkennbare Ausschläge als in einer großen. Es ist unmittelbar spürbar – nicht nur über die Mund-zu-Mund-Propaganda, sondern auch in den Zahlen. Daraus ergibt sich eine komplexe Problematik. Die Versuchung, es dem Publikum „nur“ recht zu machen, drängt sich auf. Und gleichzeitig ist die Aufgabe für die vielen Publikümmer, die es auch in einer kleinen Stadt gibt, also die diversen Interessen Angebote zu machen, vielleicht operativ noch ernster zu nehmen. Weil wir kein so großes Publikum im klassisch kulturinteressiert bürgerlichen Sinne haben, wie es in einer Metropole vorhanden ist. Von daher sind wir aufgefordert, uns Gedanken zu machen über das Programm hinaus.

Nämlich?

Was gehört zu den Produktionen noch dazu, an Ansprache? Welche Öffnungs-, auch Teilhabeprozesse gehören dazu – um wirklich ein Stadttheater für alle machen zu können? Wenn ich für eine „Nische“ spiele oder eine kleinere Gruppe von Interessierten, die sich vielleicht an einem politischen Gegenstand festmachen lassen könnten: In einer großen Stadt sind das dann vielleicht 100.000 Menschen und in einer kleinen nur 2.000, wenn überhaupt. Diese Verhältnismäßigkeit spielt eine Rolle. Und dann ist, glaube ich, die große Gruppe der am Theater Interessierten – das ja im Vergleich zu Kino oder Fernsehen auch nicht gerade günstig ist – in einer kleinen Stadt im Verhältnis durchaus noch mal kleiner. Wir sind deshalb auch sehr abhängig von den treuen Zuschauern.

In einer Broschüre, die Ihr Haus zur laufenden Spielzeit herausgegeben hat, sprechen Sie vom „großen Glück, dass die Celler ihr Theater dermaßen schätzen, dass für viele ein Leben ohne Abo kaum vorstellbar ist“. Wird sich das nicht ändern, schon vom Demografischen her?

Wir haben ganz akut die Aufgabe vor uns, dass das Älterwerden der Abonnentinnen und Abonnenten nicht automatisch dazu führt, dass Jüngere nachkommen. Der demografische Faktor beschreibt da eigentlich zwei Perspektiven: Auf der einen Seite wird die Gesellschaft älter, und es wird immer schwerer, bei den Jüngeren aktiv fürs Abo zu werben. Auf der anderen Seite ist aber die Gruppe der 60-Jährigen, die fit, beweglich und durchaus wohlhabend sind – und die noch kein Abo haben – so groß wie noch nie. Die größere Zahl der Älteren hat auch Vorteile.

Als ich neulich die „Fesche Lola …“ ansah, Ihr Saison-Auftaktstück, hatte ich den Eindruck: Da sind durchaus auch Touristen im Publikum gewesen. Aus Orten, die der Fremdenverkehr prägt, hört man manchmal, dass Kulturinstitutionen sich schon mal der Einflüsterungen aus dem Rathaus erwehren müssen, seitens der für den Tourismus Zuständigen. Gibt es das bei Ihnen?

Null. Wir haben eher ein anderes Problem, aber an dem sind wir dran: Die Verbindung von touristischer Vermarktung und Kultur ist ausbauwürdig – und im Begriff, ausgebaut zu werden. Wenn man empirisch nachweisen könnte, wo die Leute herkommen, und warum, dann könnte man auch viel besser Marketing machen. Meine gelebte Vermutung ist: Das Schlosstheater Celle hat einen Dornröschenschlaf geschlafen, was die Wahrnehmung von außen angeht. Ich bin der Meinung, dass wir für ein kleines kommunales Theater gutes Theater machen, was die Qualität der Performance angeht, und was nicht abhängig ist von einem „Wir schauen dem Publikum aufs Maul“-Spielplan. Sodass wir es in Ergänzung zu den Spielplänen in Hannover – man ist von dort ja schnell in Celle – bekannter machen sollten: Es lohnt sich herzukommen – schon wegen des Theaters, aber nicht nur deswegen. Ich sehe also eher das Problem, dass da mehr zu tun wäre, als dass uns irgendwer sagte: Seid mal populärer, dann können wir euch besser verkaufen.

Sie haben immer wieder politische Stoffe auf die Bühne gebracht. Wenn man es denn so allgemein angehen kann: Wie ist das mit dem Theater und der Politik? Wie getrennt voneinander können die sein – wie verbunden müssen sie?

Eine ehrliche Antwort muss damit anfangen, dass Theater in ihrer Programmsteuerung durch das Nadelöhr einer künstlerischen Leitung laufen. Bei uns sind das drei Köpfe, die das Programm entwerfen, dazu gehöre ich auch. Insofern kann ich nur für mich sprechen. Und für mich kann eine Anbindung ans Politische vom Anspruch her nie ausgeprägt genug sein. Das schließt nicht aus, dass Theater auch einfach schön sein kann. Die Schubladisierung beim Begriff „Politik“ ist in der Kunst schwierig. Wenn mit Politik eine Zuordenbarkeit gemeint ist im Sinne einer Partei, einer Farbe, eines Zeichens, dann sagt die Kunst mit ihrem Freiheitsanspruch: Das ist nicht die politische Definition. Das ist nicht gemeint. Wenn aber gemeint ist, dass eine Anregung, Verführung, Erregung, Provokation das Ziel der Kunst darstellt, dahingehend, dass die Zuschauer angeregt werden, sich in einer gegenwärtigen Situation zu fragen, sensibilisiert zu werden oder wie auch immer – dann ist das aus meiner Perspektive immer Auftrag des Theaters. Daraus ergibt sich ein wenig der Spagat – jetzt werde ich banal –, dass, wenn man „My Fair Lady“ macht, dann möchte ich durchaus die von vielen geteilte Schönheitsempfindung der Musik anbieten und das Märchenhafte dieser naiven Operette. Aber mit dem Bewusstsein, dass wir es da mit einem aus Genderperspektive echt problematischen Stoff zu tun haben

Vorsichtig gesagt.

Genau, vorsichtig gesagt. Das sind die politischen Perspektiven auf ein Werk, die man einnimmt. Und vieleicht sagen andere: Mach doch lieber gleich den Jelinek-Stoff. Aber, und da komme ich wieder aufs Kleinstädtische: Das würde ich mich nicht … trauen ist das falsche Wort. Aber ich muss ja von einem erwartbaren Interesse ausgehen, das ist natürlich Prognose. Und auf der anderen Seite möchte ich die Inhalte spielen, möglichst auf Augenhöhe, die eben zur Anregung und zur Sensibilisierung führen.

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