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Archiv-Artikel

Das Ende der Ostpartei

Die Sozialisten träumen sich in ihre neue Rolle: Die alte PDS ist Geschichte, die neue Linkspartei soll Geschichte machen

AUS BERLIN ROBIN ALEXANDER

Einige Genossen müssen zweimal hingucken: Oskar Lafontaine ist tatsächlich bei ihnen. Und über ihnen. Obwohl der ehemalige SPD-Parteivorsitzender noch kein Mitglied der Linkspartei ist, thront er über den Delegierten in der Mitte des Präsidiums. Auch das ist neu: Seit dem Ende der SED hatte die PDS für ihre Führung keine herausgehobenen Plätze mehr reserviert. Die Linkspartei aber präsentiert ihre Köpfe selbstbewusst: 16 Spitzenkandidaten für 16 Bundesländer. Nur vier von ihnen waren in der SED, vier aber waren in der SPD. Das Ensemble ist die Botschaft: Hier entsteht etwas Neues. Für ganz Deutschland.

Alle Blicke richten sich auf Lafontaine. Einige bitten um Autogramme. Aber der Mensch, der das neue Selbstvertrauen, die neue Kraft und die neue Zuversicht der Linkspartei verkörpert, ist nicht der frisch Gebräunte, der aus Mallorca eingeflogen ist. Sondern einer, dem Überarbeitung und Begeisterung gleichermaßen ins Gesicht geschrieben sind: Bodo Ramelow. Früher westdeutscher Gewerkschafter, dann PDS-Politiker in Thüringen, managt er zurzeit in der Linkspartei alles, was wichtig ist: den Zusammenschluss mit der WASG, den Wahlkampf und schon jetzt die neue Fraktion, die in drei Wochen in den Bundestag gewählt werden soll.

Ramelow erlebt in diesen Tagen einen Traum: Die alte PDS wird Geschichte. Die neue Linkspartei soll Geschichte machen: Mit westlinken Kandidaten kommen auch westlinkes Denken und westdeutsche Wähler. Aber die Linkspartei soll nicht nur anders werden als die PDS, meint Ramelow, sie fühlt sich jetzt schon anders an: „Das Kerngefühl der alten PDS war: Wir sind alle 1989 bespuckt worden. Das Gefühl der neuen Linkspartei ist: Wir haben Ausstrahlung. Andere interessieren sich für uns.“

Ramelow ist der Mann der Zukunft. Der Mann der Stunde jedoch ist Oskar Lafontaine: Mit dem Wahlprogramm, dessen Beschluss der eigentliche Anlass des Parteitages ist, hält er sich nicht auf. Er erklärt seine Mission, die er für „historisch“ hält und einem begeisterten Parteitag erklärt. „Die Linke steht im Zweifel immer auf der Seite der Schwächeren der Gesellschaft“, ruft er und zitiert den französischen Philosophen Rousseau: „Zwischen den Starken und den Schwachen unterdrückt die Freiheit und befreit das Gesetz.“ Damit das auch wirklich verstanden wird, wiederholt er das Zitat noch einmal, um dann zu schlussfolgern: „Es braucht Regulierung, um die Schwachen zu schützen.“

Was Lafontaine sagt, unterscheidet ihn deutlich von rot-grünen Politikern. Wie er es sagt, unterscheidet ihn auch von seinen neuen Genossen. Er spricht nicht Individuen an oder gesellschaftliche Gruppen, sondern ein Kollektivsubjekt: „Das Volk steht gegen den neoliberalen Irrweg auf.“

Lafontaine macht klar, dass ihn von Rot-Grün noch mehr trennt als die Arbeitsmarktpolitik. Die Ablehnung der EU-Verfassung in Frankreich („ein historisches Ereignis“) nennt er als Antrieb zu seinem Engagement für die Linkspartei. Die rot-grüne Außenpolitik kritisiert er scharf: In Afghanistan schütze die Bundeswehr „Warlordstrukturen“. Sogar die Stationierung amerikanischer Soldaten in Deutschland stellt er infrage: „Wir müssen endlich volle Souveränität erreichen. Dieses Thema darf nicht ewig tabuisiert werden.“ Lafontaine ruft in den Applaus: „Wir sind nicht verpflichtet, uns an Ölkriegen zu beteiligen.“

Gegen das „Finanzkasino“

Zur Weltwirtschaft sagt Lafontaine, was in der PDS schon immer alle dachten, sich aber nicht immer alle zu sagen trauten: Die internationale Finanzwirtschaft müsse „rereguliert“ werden: „Lasst uns das internationale Finanzkasino in die Schranken weisen!“ Im Applaus geht unter, dass er auch erwähnt, wie er seine Politik in Europa durchsetzen will: Große Staaten sollten kleinere einfach über Streichung von EU-Mitteln zwingen, ihr Steuerdumping einzustellen.

Am meisten Beifall findet Lafontaines Verneigung vor den Reformern in der DDR (siehe unten) und seine Verteidigung gegen den Vorwurf der Boulevardpresse, ein „Luxuslinker“ zu sein. Bei Lafontaines einzigem Vorschlag zum Wahlprogramm folgt der Parteitag ihm jedoch nicht. Die Mehrheit der Delegierten stimmt für 1.400 Euro als gesetzlichen Mindestlohn. Lafontaine hatte in der vergangenen Woche einen niedrigeren, aber „realistischeren“ Mindestlohn angeregt. Das Wahlprogramm, das die Delegierten schließlich verabschieden, weicht mit Steuererhöhungen und forcierter Umverteilung deutlich von den Angeboten der Konkurrenz ab.

In der Debatte artikulieren viele Redner das Gefühl, ihre Partei stehe allein gegen eine Welt von Feinden. Diese Wahrnehmung hat in der PDS eine gewisse Tradition. Anscheinend teilen sie auch viele westdeutsche Neulinge in der Linkspartei. Mehrmals ist von einer „Diktatur mit Mehrparteiensystem“ die Rede. Als „Mediokratie und Plutokratie“ beschreibt Ulrich Maurer die Gesellschaft in einem Zeitungsbeitrag zum Parteitag. Der langjährige SPD-Funktionär und jetzige Spitzenkandidat der Linkspartei in Baden-Württemberg fordert nicht weniger als einen „Aufstand der Demokraten“.

Und Gregor Gysi? Der löst immer dann Blitzlichtgewitter aus, wenn er sich zu Lafontaine beugt. Als Gysi dann redet, beschränkt er sich im Wesentlichen darauf, Irritationen wegzuerklären. Die Partei hat ein Plakat gedruckt, auf dem er und Lafontaine wirken wie ein Komikergespann – egal, bringt Aufmerksamkeit. Der Streit um den Mindestlohn – egal, bringt Aufmerksamkeit. Der Hass, der Lafontaine entgegenschlägt – ist auch eine Form von Aufmerksamkeit. Aus der Aufmerksamkeit will Gysi eine Perspektive zimmern. Nicht weniger als siebenmal sagt er, dass nun eine Linkspartei von „Vorpommern bis Bayern“ entstünde. Die Gelegenheit sei – wer weiß es jetzt noch nicht? – historisch: „Wenn wir es einigermaßen hinkriegen, dann haben wir nach dem 18. 9. ein verändertes Deutschland.“

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