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„Den Sprengstoff des Stückes finden“

Zum vierten Mal inszeniert sie in Osnabrück eine Oper. Regisseurin Yona Kim erklärt, was an Beethovens „Fidelio“ heute politisch ist und wie man ihn zeitgemäß auf die Bühne bringt

Interview Harff-Peter Schönherr

taz: Beethovens „Fidelio“ diskutiert das Private im Politischen mit schwergewichtigen Ideen und übermenschlich hehren Charakteren. Lässt sich die Oper heute noch in den Alltag übersetzen, Frau Kim?

Yona Kim: Die Begriffe, mit denen das Stück uns konfrontiert – Gerechtigkeit, Freiheit, wahre Liebe, Tugend –, sind so übergroß, dass sie für unseren Alltag kaum tauglich scheinen. Aber man darf sich von der Vordergründigkeit dieser Begriffe nicht in die Irre leiten lassen.

Mit welcher Erkenntnis kehre ich aus Ihrem „Fidelio“ zurück in die Alltagswelt? Sicher nicht damit, dass Gerechtigkeit und Güte stets siegen, wie das Libretto suggeriert?

Es gilt, die Fassaden der Figuren und Charaktere zu durchdringen. Erst dann sieht man: Auch Leonore und Florestan, die beiden vordergründig hoch idealisierten Hauptprotagonisten, sind Menschen wie du und ich, sie haben ihre Schwächen und Widersprüche. Nur ihre Situation im Stück ist so zugespitzt und modellhaft, dass wir uns anhand dieses Modells Fragen stellen: Wie würden wir uns selbst zum Systemterror verhalten, wenn wir ihm ebenso ausgesetzt wären? Wären wir in der Lage, uns dem zu widersetzen? Unsere Welt ist ja voll solcher Systeme.

Rechte beanspruchen derzeit Deutungshoheiten, demonstrieren Herrschaftsansprüche. Wie politisch kann und muss ein „Fidelio“ angesichts dessen sein?

„Fidelio“ war schon immer ein politisches Stück. Aber es wurde oft missgedeutet und missbraucht als offizielle Fanfarenoper. Das Politische ist immer konkret und betrifft Menschen unmittelbar. Und genau das spiegelt sich im Umgang der Figuren mit ihrer Situation bei „Fidelio“. Es wäre ein Irrtum, zu glauben, dass wir in einer immerwährenden Sicherheit leben. Vieles kann leicht kippen, wenn wir nicht gegensteuern. Die Geschichte lehrt, aber sie findet keine Schüler – und obwohl sie keine Schüler findet, hört sie nicht auf zu lehren.

Die Handlung kreist um Edelmut, um Weltverbesserung. Wie realistisch ist es, dass ein komplettes Machtsystem stürzt, wenn ihm nicht mehr als der Mut der Liebe entgegentritt?

Wir sind weder Engel noch Helden. Aber wenn wir keine Sehnsucht mehr in uns tragen, wofür leben wir dann? Viele sehen sich nur von Unmöglichkeiten umgeben, nicht von Möglichkeiten. Aber das ist mir zu resignativ.

Beethovens einzige Oper schreit danach, überzeitlich erzählt zu werden, stilisiert. Geschieht das bei Ihnen?

Spoilern ist nicht erlaubt! Klar, man könnte zum Beispiel das 19. Jahrhundert als Setting nehmen, als vermeintlich werktreu, da ist das Stück ja entstanden. Aber kann man so diesem politischen Stück gerecht werden? Ich wage hier ein abstrakt-heutiges Setting, das eine theatralische Assoziationskette auslösen soll.

Wie stark orientieren Sie sich an der Originalhandlung?

Yona Kim

ist Opernregisseurin und Librettistin sowie Dozentin für Musiktheater-Regie an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg.

Theater findet immer in der Jetztzeit statt. Deshalb siedle ich das Stück zwischen Sehnsucht und Realität an, also genau dort, wo wir uns im Leben fast immer befinden. Und es gilt, die Kanten und Brüche des Stücks und seiner Figuren zu radikalisieren, theatralisch zuzuspitzen, die Gedankenschärfe auf den Punkt zu bringen. Es kann nicht um Brachialisierung um des Effektes willen gehen, sondern darum, die Figuren neu zu beglaubigen.

Sie haben vor „Fidelio“ schon dreimal am Theater Osnabrück inszeniert. Zuerst Verdis „Aida“, 2012, dann „Die Vögel“ von Walter Braunfels, zuletzt, 2016, Wagners „Lohengrin“. Was reizt Sie so an Osnabrück?

Ich schätze und liebe das hiesige Ensemble und die künstlerische Handschrift der Intendanz. Hier ist ein großes Vertrauensverhältnis entstanden. Das ist für meine Probenarbeit sehr hilfreich, sonst ist das ja immer wie ein Sprung ins kalte Wasser. Vertrauen ist eine der fundamentalen Voraussetzungen für eine gute Probenarbeit, die so intensiv wie intim sein kann.

Sie haben Kunstgeschichte studiert, über Ingeborg Bachmann promoviert, sogar getanzt. Wodurch haben Sie gespürt, dass es die Oper ist, der Sie sich verschreiben wollen?

Klassische Musik gehörte schon früh zu meiner Erlebniswelt, aber ich war niemand von denen, die schon als Achtjährige wissen, dass sie Opernregisseur werden wollen. Dass ich jemals Opern inszenieren würde, hätte ich mir nie träumen lassen. Geholfen hat im Nachhinein sicher, dass ich in vieles andere reingeschnuppert habe, bevor ich mich auf die Oper einließ. Der Umweg ist manchmal der beste Weg. Eine Oper ist ja ein Gesamtkunstwerk, Opernregisseure sind dillettierende Alleskönner!

Was macht eine gute Opernregie aus?

Dass du das Kraftzentrum eines Stücks erspürst. Dass du den Sprengstoff des Stücks findest, dass du an der brisanten Stelle bohrst, bis du an seinen Kern stößt. Klar, das Konzeptio­nelle ist wichtig, das Interpretieren des Werks. Aber du kannst nicht einfach dein Konzept über das Ensemble stülpen, mit dem du arbeitest, das sind ja alles eigene Persönlichkeiten.

Was sind die gefährlichsten Fallstricke an „Fidelio“?

„Es gilt, die Kanten und Brüche des Stücks und seiner Figuren zu radikalisieren, theatralisch zuzuspitzen“

Lasst euch durch das Stück nicht erdrücken, nicht einschüchtern! Bringt Skepsis mit, Hellhörigkeit! Lasst euch nicht von den überidealisierten Charakteren täuschen! Aber bohrt nicht, wo nichts ist!

Warum sind Frauen in der Welt der Opernregie immer noch unterrepräsentiert?

Es gibt noch Nachholbedarf, aber wir sind auf einem guten Weg. Interessant ist: Viel mehr Frauen als Männer studieren auch Regie. Natürlich ist die Frage, wie viele es dann bis zum Abschluss schaffen und bis in den Beruf hinein.

Derzeit erlebt Peter Ruzickas „Benjamin“ an der Hamburger Staatsoper eine Wiederaufnahme. Sie haben dafür das Libretto geliefert, Regie geführt. Was hat Sie an Walter Benjamin fasziniert?

Damit sind wir wieder beim Anfang: Dass die Geschichte lehrt, aber keine Schüler findet. Manchmal könnte man denken, wir erleben hier heute dasselbe wie vor 85 Jahren. Mich hat gereizt, dass sich an Benjamin die Geschichte Europas in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – die die jetzige Welt geprägt hat – sehr modellhaft untersuchen lässt. Benjamin hat fast prototypisch alle Lebensentwürfe seiner Zeit gedacht und gelebt. Aufgewachsen im Großbürgertum als deutscher Jude, Anhänger des Kommunismus und zugleich des Zionismus. Zudem lässt sich Benjamins Schicksal als Flüchtling, mit all ihrer Legendenbildung, auf die derzeitige Flüchtlingsproblematik spiegeln.

Premiere: Sa, 29. 9., 19.30 Uhr, Osnabrück, Theater am Domhof. Nächste Termine: 3./16./24. 10., 2./4./9. 11.

Wiederaufnahme „Benjamin“: So, 14. 10., 18 Uhr + Fr, 19. 10., 18 Uhr, Hamburg, Staatsoper

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