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berlinmusikKalte Welle

Annika Henderson ist eine Künstlerin, deren Arbeit in Berlin bislang noch viel zu wenig gewürdigt wird. Die gebürtige Britin hat einst bei der Band Beak> (nur echt mit dem Pfeil) gesungen, einem Projekt von Geoff Barrow, den man von Portishead schon kennt. Seit rund zehn Jahren macht sie als Anika ohne n solo Musik zwischen Noise, Slow-Folk, TripHop und Electronica. Neben ihrem Soloschaffen hat sie aber auch immer wieder andere spannende Projekte gehabt, zum Beispiel ihre Zusammenarbeit mit dem Produzenten Shackleton vergangenes Jahr.

Und dann wäre da eben noch ihre Band Exploded View, die sie mit den in Mexico City ansässigen Musikern Martin Thulin und Hugo Quezada betreibt und mit der sie nun das zweite volle Album vorlegt. „Obey“ heißt es, man darf es all jenen wärmstens empfehlen, die Frühachtziger-Industrial/-Wave und dunklen, kühlen Frauengesang mögen.

„Obey“ beginnt dark-jazz-mäßig mit „Lullaby“, geht mit einem düsteren Folkstück („Open Road“) weiter, gefolgt von beatlastigeren Stücken wie „Dark Stains“, dessen stampfender Beginn fast an New Orders „Blue Monday“ erinnert. Es folgen sphärischere, mit Industrial-Sound unterfütterte Songs wie das Titelstück „Obey“ und „Sleepers“, ehe mit „Come on Honey“ eine quirlig-quietschende Gitarre ihren Auftritt hat und es etwas krachiger und rockiger wird. Das Album endet dann mit dem nervös-fiebrigen „Rant“, das einen guten Soundtrack für eine nächtliche Geisterfahrt abgäbe.

Auf „Obey“ (übersetzt: „gehorchen“ oder „fügen“) setzen sich Exploded View mit den oft unausgesprochenen Diktaten unserer Zeit auseinander, denen wir uns unterordnen müssen und derer wir uns dann auch noch ständig selbst vergewissern müssten: Dem Jungsein, Dünnsein, Schönsein, Erfolgreichsein. Die zehn Stücke auf „Obey“ klingen, als ob Exploded View die Schichten hinter diesen, unseren Fassaden sezieren und dabei auf sehr viel Düsteres, Unverarbeitetes stoßen. Mal hört sich das gespenstisch an, dann wütend, dann traurig, dann etwas apathisch.

Mit Exploded View hat Henderson nun eine Band, die ihrem Soloprojekt in nichts nachsteht und die Industrial, Cold Wave und Folk auf sehr überzeugende Art und Weise zusammenbringt. Jens Uthof

Exploded View: „Obey“ (Sacred Bones)

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