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Unerschütterliche Charaktere

Sven Marquardt ist Berghain-Türsteher und Fotograf. Die Galerie Deschler zeigt nun alte und neue Aufnahmen von Techno-Producern und DJs

Von Jens Uthoff

Es wirkt ein bisschen so, als hätte das Berghain einen Pop-Up-Club in Mitte eröffnet: Die Auguststraße ist am Mittwochabend von einem subkulturellen Pulk bevölkert, zu erkennen an feinen schwarzen Stöffchen am Leib, Undercut- oder sonstigen angesagten Frisuren und einer hohen Tattoodichte unter den Anwesenden. Es ist kaum ein Durchkommen, eine wartende Horde von mehreren hundert Leuten hat sich vor der Galerie Deschler gebildet, während drinnen bei Biosauna-Temperaturen Gedränge herrscht.

Mittendrin ist Sven Marquardt zu erspähen, unverkennbar mit grauem Bart und zurückgekämmtem grauen Haar, ins Gesicht rankenden grünstichigen Tattoos, dicken Ringen in der Lippe und im Ohr. Marquardt, ein alter Recke des Ostberliner Undergrounds, ist als Türsteher des Berghain berühmt geworden, kommt aber eigentlich aus der Fotografie. Mit der Kamera hat er bereits zu DDR-Zeiten das Leben der Punks und Abweichler dokumentiert. Nun eröffnet er seine neue Ausstellung „Pack“, in der er vor allem Porträts von DJs und Produzenten aus der elektronischen Musikszene zeigt; zugleich nimmt er den Style der Clubkultur und (schwule) Sexualität in den Blick.

Einige bekannte Gesichter der Berliner Szene springen einem aus den Fotografien entgegen: Marcel Dettmann, Rummelsnuff und Boris sind etwa Figuren aus Marquardts Umfeld des Berghain und des Ostgut Labels, auch Ellien Allien oder Tale Of Us zählen zu den bekannteren Acts der hiesigen Szene. Aber beim Rundgang fällt auf, dass man es insgesamt mit einem Teil der Popkultur zu tun hat, der normalerweise eben oft nicht sichtbar ist, bei dem sich die Protagonisten hinter Pulten im schummrigen Club verstecken. Die Menschen zu zeigen, die sich hinter Produzentennamen wie Function, Kobosil und nd_baumecker verbergen, darum scheint es Marquardt zu gehen. Es sind, wenn man den meist sehr ernsten Blicken und Körperhaltungen der Abgebildeten Glauben schenken darf, recht unerschütterliche Charaktere, die da an den DJ-Desks Dienst tun.

Fast ausschließlich Schwarz-Weiß-Aufnahmen sind bei Deschler zu sehen; manche in Großformat an die Wand geklebt, die meisten im 90-mal-60-Format gehängt. Die Ausstellung ist dreigeteilt: im Erdgeschoss die Musikerporträts, im Kellerraum zeigt Marquardt eine Reihe von Fotografien, die in der Bildsprache an Renaissance und Barock angelehnt sind (ältere Werke, einige davon aus der „Nachtblende“-Serie). Schließlich ist im Untergeschoss noch eine audiovisuelle Installation aufgebaut – hier wechseln Porträts im Diashow-Modus.

Zu sehen: Viel Leder, viele nackte Männeroberkörper, sexuell konnotierte Inszenierungen. Zum Teil sind es auch Bilder aus den älteren „Rudel“-Serien, in denen er Türsteher und Musiker porträtierte. Zur Bilderfolge läuft ein minimalistischer Soundscape von Marcel Dettmann, ein herzschlaggleiches Pluckern. Dies ist der Teil der Ausstellung, bei dem sich zu verweilen lohnt, weil hier eine ganze Szene – ihr Vibe, ihre Codes, ihre Ästhetik – porträtiert wird.

Bei den Musikerporträts steht dagegen der einzelne Mensch im Vordergrund. Die Absicht dahinter ist klar, und doch wünscht man sich manches Mal ein bisschen mehr Bezug zu dem, was sie tun, zur Subkultur, der sie angehören. Einige Motive gehen auch zu sehr in Richtung Modestrecke-Fotografien. Allerdings bekommt man, zum Beispiel dank der vielen verschiedenen Abbildungen des Marquardt'schen Lieblingssujets Marcel Dettmann, einen Eindruck von der Vielseitigkeit des Fotografen. So sieht man: Dettmann mit Krawatte, Dettmann mit Lederweste, Dettmann mit Wallehaar, Dettmann mit Gelfrise, Dettmann im David-Beckham-Stil, Dettmann im David-Foster-Wallace-Stil.

Dass der Produzent aber hier als so wandelbarer Charakter erscheint, liegt entscheidend an dem, der ihn in Szene setzt. Die Posen und Settings, in denen Marquardt ihn ablichtet, legen bestimmte Lesarten nahe. So kann man, wenn man will, den Existentialisten und den Beau, den Grübler und Skeptiker, den Draufgänger und den Denker Marcel Dettmann entdecken.

Wenig überraschend überwiegen insgesamt Fotografien von Männern. Wenn Marquardt als schwuler Mann in einem Ausstellungsteil männliche Homosexualität (mit-)abbilden will, ist das einigermaßen evident, aber auch bei den Produzentenporträts bildet es wohl schlicht die Realität ab: die Menschen hinter den Decks sind meist Männer. Umso mehr darf man sich freuen, wenn man vereinzelt auf Abbildungen von Monika Kruse, Ellen Allien oder EMA stößt. Das Porträt letzterer zählt auch zu den Highlights der Ausstellung. Ebenso überzeugen die sehr klassischen, frontalen Porträts wie das des schwarzen US-Musikers Olivier DaySoul oder jene von DJ Hell, Elif oder Max Kobosil. Bei diesen Aufnahmen, die aufs Wesentliche reduziert scheinen, kommt Marquardt den Porträtierten am Nächsten.

Ach so, eines sei noch erwähnt: Wer erwartet, er könne hier endlich das Berghain-Innenleben auf Fotos entdecken, der liegt falsch – Berghain-Fotos gibt es auch hier nicht. Einen Eindruck von der zeitgenössischen elektronischen Musikszene Berlins bekommt man anhand der Protagonisten aber allemal. In deren Gesichtszügen erhascht man eine Ahnung von gelebtem Leben, einen Hauch Biografie.

Sven Marquardt: „Pack“, Galerie Deschler Berlin, Auguststr. 61, Mitte, bis 24. November

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