piwik no script img

Archiv-Artikel

Abschiebung in 48 Stunden

ASYLRECHT Bayern fordert kurzen Prozess für die Asylanträge von Balkan-Roma. Auch soll die 2009 eingeführte Visafreiheit von Serben und Mazedoniern eingeschränkt werden

Die Behörden sagen, es kommen mehr Roma, weil es seit August mehr Geld für sie gibt

VON CHRISTIAN RATH

FREIBURG taz | Bayern will Schnellverfahren für Asylbewerber aus Serbien und Mazedonien einführen. Binnen 48 Stunden soll über die Anträge entschieden werden, die in der Regel keine Erfolgsaussicht haben. Außerdem verlangt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU), die Visafreiheit für beide Balkanstaaten aussetzen.

Rund 4.300 serbische Flüchtlinge haben in den ersten acht Monaten des Jahres 2012 in Deutschland Asyl beantragt, das sind etwa zehn Prozent aller Antragsteller. Hinzu kommen 2.500 Anträge aus Mazedonien. Keine extrem hohen Zahlen also. Seit August steigen allerdings die Anträge aus beiden Staaten stark an. Über 90 Prozent der Antragsteller sind Roma.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) führt den Anstieg auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zurück, das im Juli eine deutliche Anhebung der Sätze des Asylbewerberleistungsgesetzes forderte. Statt 224 Euro erhalten Flüchtlinge nun 446 Euro monatlich. In Bundesländern wie Bayern, die Sachleistungen oder Gutscheine gewähren, stieg das Taschengeld immerhin von 40 auf 134 Euro.

Die Schutzquote für Antragssteller aus den Balkanstaaten ist allerdings extrem niedrig. Nur 0,3 Prozent der Antragsteller aus Serbien und 0,2 Prozent der Antragsteller aus Mazedonien können in Deutschland bleiben. Selbst in den wenigen erfolgreichen Fällen geben nicht Verfolgung, sondern persönliche Abschiebehindernisse wie Krankheit den Ausschlag. Die aktuelle Schutzquote für andere Flüchtlinge ist viel höher: Aus Afghanistan werden 35 Prozent der Asylsuchenden geschützt, aus dem Irak 62, aus Syrien 94 und aus dem Iran 53 Prozent.

Für das bayerische Innenministerium ist deshalb der Fall klar. „Den Antragsstellern aus Serbien und Mazedonien geht es nur darum, in Deutschland für einige Monate Sozialleistungen zu erschleichen“, sagte ein Sprecher zur taz. Deshalb soll nun das Asylverfahren für solche Anträge radikal verkürzt werden. Binnen 48 Stunden sollen die Flüchtlinge in der Regel angehört werden und einen Bescheid erhalten. Vorbild ist die Schweiz, die seit August mit Asylbewerbern vom Balkan so verfährt – wenn nach der Anhörung keine weiteren Abklärungen erforderlich sind.

Derzeit braucht das BAMF im Schnitt drei Monate für solche Anträge. Bayerns Innenminister Herrmann kann dem BAMF aber nicht vorschreiben schneller zu arbeiten, da es ein Bundesamt ist. Das zuständige Bundesinnenministerium wollte zu dem Vorschlag zunächst nicht Stellung nehmen.

Pro Asyl würde dem Schnellverfahren nur zustimmen, wenn die Antragsteller in der Anhörung zwingend durch einen Anwalt vertreten werden. „Sonst kann ihnen in dieser kurzen Zeit niemand sagen, auf was es im Verfahren eigentlich ankommt“, so Rechtsanwalt Hubert Heinold, Vizevorstand von Pro Asyl.

Der zweite Vorschlag von Joachim Herrmann ist noch deutlich radikaler: Als Mittel gegen missbräuchliche Asylanträge will er die Visafreiheit für Serben und Mazedonier wieder aussetzen. Diese war den beiden Staaten erst 2009 gewährt worden. Die Reisefreiheit sollte Reformbemühungen belohnen und zeigen, dass eine EU-Mitgliedschaft von Serbien und Mazedonien möglich ist.

Auch hier kann Bayern nur an andere appellieren. Seit 2001 gilt die EU-Visaverordnung. Darin ist geregelt, aus welchen Staaten Bürger visafrei in die EU einreisen können. Dabei entscheidet der EU-Ministerrat gemeinsam mit dem Europäischen Parlament, welche Staaten das Privileg erhalten oder wieder gestrichen werden.

Konkret bezieht sich Herrmanns Vorstoß auf eine neue Regelung, die der Rat zwar schon vor einigen Monaten beschlossen hat, die aber noch vom Europäischen Parlament gebilligt werden muss. Danach soll die Visafreiheit bis zu 15 Monate ausgesetzt werden können, wenn die erfolgloseb Asylanträge stark zunehmen. Entscheiden würde dann die EU-Kommission nach Rücksprache mit den nationalen Regierungen. Die Einführung dieser sogenannten Visumsschutzklausel kommt auch auf Druck von Deutschland und Bayern zustande. Schon vor zwei Jahren, als Asylanträge von Balkan-Roma erstmals stark zunahmen, drohte Herrmann mit einer Aussetzung der Visafreiheit.

Sollte den Serben am Ende tatsächlich die Reisefreiheit in die EU entzogen werden, dürfte dies die innenpolitische Ausgrenzung der Roma weiter verschärfen, weil die Minderheit dann wohl kollektiv für den Rückschlag verantwortlich gemacht würde. Pro-Asyl-Anwalt Heinold findet auch, dass die Asylanträge der Roma in Deutschland überwiegend zu Unrecht abgelehnt werden. „Wenn man mal akribisch zusammenstellen würde, was eine Roma-Familie alles an Ausgrenzung und Gewalt erlebt, dann wäre das Maß einer Gruppenverfolgung wohl erreicht.“