: Schmusemaske Schleckstein
Das Tier als Objekt menschlichen Gestaltungs-willens erkundet eine Ausstellung im Museum Marta Herford. Manches ist pragmatisch, manches prätentiös, manches nicht ernst gemeint
Von Katharina J. Cichosch
Noch ist der Tisch im Bistro nicht eingedeckt, doch auch ohne gestärkte Leinentücher und Silberbesteck kann man sich schon einmal mit dem Menü beschäftigen: Als Amuse-Gueule stehen hüpfende Teppanyaki in leuchtenden Farben bereit, frisch aus dem hauseigenen Zuchtaquarium, die ein wenig an die Seeigel- und Rohfisch-Kreationen aus dem Yamazato, Europas erstem japanischen Sterne-Restaurant in Amsterdam, erinnern.
Im Erst-, Zweit- oder Drittgang steht Fleisch in allen nur denkbaren Formen und Texturen zur Wahl, auf Wunsch sogar bewegt: Ein kreuchendes Wesen mit Tentakeln sucht sich den Weg vom Mund in den Magen jener Gäste, die den Throat Tickler, den Halskitzler, bestellt haben („Grauzone zwischen See-Anemone und Sex-Spielzeug“, wie er angepriesen wird). Wer danach noch nicht genug hat, kann sich eine Kugel samtene Eiscreme ordern, die nach salzigem Eisbär schmeckt.
Das „Bistro In Vitro“ soll angeblich 2028 seine Tore öffnen; zeitgenössische Typografie und durchdesignte Corporate Identity erwecken den Eindruck, dass dieses urbane Schlaraffenland aus der Petrischale tatsächlich real werden könnte. Seine potenzielle Speisekarte nebst Rezeptbüchern liegen im Museum Marta Herford aus, wo aktuell „Kreaturen nach Maß“ gezeigt wird. Die Schau bildet den Abschluss einer dreiteiligen Ausstellungsreihe zum Thema Gegenwartsdesign. Nach Zeit und Gewalt werden dem Design jetzt also Tiere anheimgestellt.
Damit bietet sich schon eine gute Prämisse: Das Tier als Objekt menschlichen Gestaltungswillens – mittelbar und unmittelbar, als Empfänger von Luxushalsbändern ebenso wie als Rohstofflager für allerlei Erfindungen oder schließlich als Kreation selbst. Die Problematiken der Zuordnung des Menschen, erste und zweite Natur und so fort, könnte man damit übergangsweise erst einmal galant vom Tisch wischen: Denn in der Fähigkeit, andere Wesen nach seinem Willen zu designen, dürfte sich das menschliche doch von seinen nichtmenschlichen Tieren unterscheiden. Oder?
In jedem Falle sind die mannigfaltigen Beziehungen im Laufe der Jahrhunderte so eng geworden, dass ein Leben ohne Tiere schwer vorstellbar scheint – auch dann, wenn sie ihrem eigenen Wohl zuliebe irgendwann nur noch in Repräsentanz erscheinen sollten: „Wir Menschen“, meint Friederike Fast, die zusammen mit Tanja Seiner die Ausstellung kuratiert hat, „sind eben Symboltiere.“ Fleisch in molekularer Form, im Mix als Schweine-Mäuse-Haifisch-Burger vielleicht, ein bunter Strauß Fleischblumen oder kunstvoll gearbeitete Fleischperlen, wie sie hier beispielhaft präsentiert werden? Wäre denkbar. Vermutlich fehlten dem Menschen dann aber Haptik und Aussehen des fleischlichen Vorbilds.
Weitere Entdeckungen, die es hier zu machen gibt, umfassen ein Geruchstraining zwischen Motte und Mensch, Drachenleinen fürs Gassigehen mit Vogel, das Exoskelett, mit dem der Künstler Thomas Twaites einige Wochen als Ziege in den Schweizer Bergen lebte, oder den Paramount-Spiegelthron von Konstantin Grcic für das Projekt „Architecture for Dogs“, hier allerdings ohne lebendigen Pudel, für den das Designerobjekt eigentlich gedacht ist.
Manches ist pragmatisch, manches prätentiös und einiges nur auf den ersten Blick ernst gemeint. Aber vieles durchaus möglich. So zeugt die Ausstellung in ihren besten Momenten von der Expansion dieser komplizierten Verhältnisse zwischen menschlichem und nichtmenschlichem Tier, für die sie gern amüsante Bilder findet: nicht nur die von der hysterischen Liebe zum Säugetier auf der einen und dessen fortwährende Nutzbarmachung auf der anderen Seite, die inzwischen vielfach rezitiert wird.
Die Schau geht auch der Frage nach, was verwerflicher ist und wäre: die umfangreiche Nutzung eines Tieres bis in seine kleinsten Partikel hinein, wie sie Christien Meindertsma anhand eines einzelnen Schweines nachvollziehbar macht (ihre umfangreiche Designforschung wird aktuell übrigens auch im Vitra Museum präsentiert). Oder umgekehrt die völlige Abschaffung des (Nutz-)Tieres für den Menschen, wodurch dann aber eben auch jene Wesen schlicht nicht mehr existieren würden.
In einer Videoarbeit von Thalia de Jong kann man der täglichen Schönheitspflege von „Golden Boy“ zuschauen, einem preisgekrönten Meerschweinchen, das bereits seine 15 Minuten Ruhm im Internet erleben durfte: Kämmen, Lockenwickler eindrehen, frisieren, alles lässt das Cavia porcellus mit der prächtigen Mähne gelassen über sich ergehen. „Ein natürliches Verhalten“, behauptet da der Wandtext, „ist dem Tier gänzlich abhandengekommen.“
Diese Einschätzung verwundert ein wenig, können Meerschweinchen doch neben anderem durchaus einmal eine ganze Weile nichts tun oder stoisch dreinblicken. Tritt der Videoprotagonist dem ganzen Zirkus nicht vielmehr reichlich indifferent gegenüber; sind sein Aussehen und seine Zurichtung, die allein dem menschlichen Betrachter gilt, ihm also herzlich gleich? Damit trifft der nächste Satz unfreiwillig viel eher des Pudels Kern: Das Tier werde hier zur reinen Projektionsfläche des Menschen, heißt es dort. Wovon Publikum, Künstler und Ausstellungsmacher offenbar nicht ausgeschlossen sind.
Dass auch Großhunde und Milchkühe gestaltete Wesen sind und dass zweitens die offenkundig neurotische Tierliebe nicht nur Kleinsäuger oder Schoßhündchen betrifft, diese Erkenntnisse dürften manche Besucher wie ein heilsamer Schock durchfahren: Wunderbar schaurig zum Beispiel in Form der „Schmusemaske Schleckstein“, einem fetischhaften Gesichtsschild, mit dem das geliebte Haustier zum Lecken am Besitzergesicht animiert werden soll.
Die Grenzen zwischen tatsächlichem und spekulativem Design fließen durch die Ausstellung wie jene zwischen Design und bildender Kunst: Scheinbar ganz und gar nicht fortschrittsfeindlich die japanische Designerin und Popsängerin Sputniko, die im gewohnt durchgeknallten Videoclip die Liebe zu einer androgynen Forscherin besiegelt, indem sie den roten Schicksalsfaden vom Mythos zum Leben erweckt – das eher zartrosafarbene und bindungshormongetränkte Resultat ihrer Arbeit befindet sich direkt neben dem Bildschirm, Cyber-Post-Natur at its best.
Einige der erhellendsten Einschätzungen zur Gestaltung der Mensch-Tier-Beziehung stammen dabei vielleicht von jenen Kindern, die Melanie Bonajo in ihrer Videoarbeit befragt. „Ich fände es nicht so gut, wenn sie iPhones benutzen würden“, gibt ein Junge aufrichtig zu Protokoll, „ich finde, dass Tiere schon Tiere bleiben sollten.“
Auf dem Weg nach draußen noch ein Stopp an der Postkartenstation des Center for Genomic Gastronomy. Woll-Mammut, Auerochse oder Wandertaube – was soll mit ihrem Erbgut oder dem, was hiervon noch übrig ist, geschehen? Ein Kreuz genügt, um dem eigenen Gestalterwillen Ausdruck zu verleihen. Nein, bitte ausgestorben belassen, oder: Erneut zum Leben erwecken und als Nahrungsquelle verfügbar machen?
Die Wahl fällt auf eine dritte Option. „De-Extinct“ (die Ausrottung rückgängig machen), einfach so, zum Selbstzweck, und wird anschließend noch an die passende Forschungsgesellschaft adressiert: Harvard Wooly Mammoth Revival am Wyss Institute for Biologically Inspired Engineering in Cambridge, Massachusetts. Ein kurzer Augenblick Gott-Modus, immerhin.
„Kreaturen nach Maß“.Museum Marta Herford, bis 6. Januar 2019, Katalog 15,90 Euro
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