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Charmante Große-Jungs-Streiche

Bildhauer „in Anführungszeichen“: Die Kestnergesellschaft in Hannover feiert den 80. Geburtstag des Schweizer Skulpturenkünstlers Roman Signer mit einer Einzelausstellung

Von Bettina Maria Brosowsky

„Swiss Made – Präzision und Wahnsinn“ hieß 2007 ein zweiteiliges Ausstellungsprojekt im Wolfsburger Kunstmuseum. Mit ihm legte der damals frisch aus dem schweizerischen Basel als Direktor berufene Markus Brüderlin seine mentale Visitenkarte vor. In zwölf thematischen Gegenüberstellungen traten Schweizer Gegenwartskünstler*innen in einen fiktiven Dialog mit den Granden der helvetischen Kunstgeschichte. Mit dabei in der Rubrik „ready made – self made – swiss made: von Junggesellen, Tüftlern und Fetischisten“: Roman Signer und seine Fahrradinstallation. Dessen aufgebocktes Hinterrad schleuderte, aus einem schmalen Becken heraus, eine ölige Schmutzspur in das makellos museale Interieur.

Dieser Charme der Große-Jungs-Streiche ist vielen Werken Signers schon seit vielen Jahren zu eigen. Denn der 1938 in Appenzell Geborene hat im Mai ein durchaus respektables rundes Alter erreicht, was den für Kunst zuständigen Redaktor (so heißt das da) der Neuen Zürcher Zeitung zu der etwas altbackenen Würdigung verleitete: „Ein Lausbub wird achtzig“. Auch so etwas mag ja eine spezifisch Schweizer Disposition sein.

Jungenhaft frisch in blauem T-Shirt und Sandalen erschien Roman Signer nun kürzlich zum Pressegespräch in der Kestnergesellschaft in Hannover. Direktorin Christina Végh, auch sie aus der Schweiz, wollte es sich nicht nehmen lassen, ihrem Landsmann rund um seinen Geburtstag eine große Einzelausstellung auszurichten.

Und Signer bat gleich zu einer kleinen Aktion, um eine extra für den Ort konzipierte Arbeit fertigzustellen. Fünf (ebenfalls) blaue Metallfässer enthielten in der Tiefe auf ihrem Boden sorgfältig ausgeführte Schütt­kegel aus Sand. Signer lud jeweils zweimal das Luftgewehr durch und transformierte diese Schüttungen zu nun abgeplatteten oder eingemuldeten, minimal unregelmäßigen Gestalten. Dieses schöpferische Zerstören ist der wohl bekannteste Aspekt in Signers Arbeiten, zumindest seiner früheren. Legendär ist sein Hantieren mit Sprengstoff, der lange Jahre in der Schweiz recht leicht erhältlich war.

Das schöpferische Zerstören ist der wohl bekannteste Aspekt in Signers Arbeiten

Davon erzählen in Hannover zwei seiner fünf gezeigten „Filmli“, wie Signer sie nennt: kurze Videos von wenigen Minuten Länge, etwa die „Dachlawine“ aus dem Jahr 2017: Die bekannten blauen Fässer, nun gefüllt mit je 200 Litern Wasser, werden durch eine skurril komplizierte Seil- und Gegengewichtsapparatur am First eines schmucken Südtiroler Bauernhauses gehalten. Eine simultane Sprengung löst sie dann, sodass sie das Dach hinunterrauschen, sich beim Aufprall in einem theatralischen Wasserschwall entladen und in malerischer Deformation des Bleches ihre Ruheposition finden.

Das kann man für witzigen Slapstick halten – oder für eine ernste Auseinandersetzung mit elementaren Kräften, Energien und Phänomenen sowie ihren nicht beherrschbaren, unfreiwillig grotesken Momenten. Hat man sich erst mal auf diese Fährte begeben, erhalten alle Arbeiten jenseits ihrer unmittelbar verständlichen humoristischen Note eine fast beklemmende Metaphorik.

Wie etwa der umgebaute Rasenmähroboter, eine kleine Schweizer Flagge ziert sein grünes Blechgehäuse. Unermüdlich rackert er in seinem abgesteckten Territorium, in dessen Zentrum eine Glocke baumelt. Die er aber nur höchst selten trifft.

Dieses Gefühl kenne sie aus manchen Tagen ihrer Arbeit, sagt Christina Végh dazu, und gewährt so einen tiefen Einblick in die mitunter wenig glamouröse, unproduktive Routine eines Kunstvereins. Anderseits müssen wir uns ja Sisyphos, Albert Camus sei Dank, als einen glücklichen Menschen vorstellen, dessen Lebenssinn im stoischen Auflehnen gegen das Absurde besteht.

Oder auch diese Kombination: „Kajakspitze mit Velo“. Wer die elegante Dynamik des Wassersports vor Augen hat, wird durch die Vorstellung tumber Motorik des Radfahrens aus seiner Illusion gerissen.

Roman Signer sieht all seine Arbeiten als Skulptur, nennt sich selbst einen „Bildhauer in Anführungszeichen“. Es ist die Bewegung in Zeit und Raum, deren Protagonist er häufig selbst ist, die er neu definiert, vor unseren Augen einfriert. Und es scheint, als würde dieser konzeptionelle Ansatz, nun äußerst still ausgelegt, in seinen neueren Arbeiten nun die Oberhand gewinnen.

In Hannover sind zwei große, begehbare Installationen errichtet. Zum einen der „Runde Raum“ mit rhythmisch halbkreisförmigen Sprühbildern eines darin bewegten Rades. Wenn die Spraydose auf dem Kopf stand, setzte ihre Funktion aus, die Farbspur ist unterbrochen. Sowie die „Milchstraße“. In ihr muss der Besucher nun selber seine angemessene Bewegung finden, darf sich in historischen Sternenbildern treiben lassen, um seinen eigenen Raum, seine eigene Zeit in der Unendlichkeit zu erspüren.

„Roman Signer – Neue Arbeiten“: bis 4. 11., Hannover, Kestnergesellschaft

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