: Spukende Opfer
Im Gruselfilm „Tian – Das Geheimnis der Schmuckstraße“ geistern von den Nazis in Hamburg-St. Pauli ermordete chinesische Kinder in einem Haus herum
Von Wilfried Hippen
Ein Hand greift nachts aus einem Schrank nach einem kleinen Mädchen. Blut tropft aus Wänden, in Spiegeln sind schemenhafte Wesen zu sehen. Die Konventionen des Geisterhaus-Genres sind altbekannt und Regisseur Damian Schipporeit aus Hannover folgt ihnen in seinem Debütlangfilm „Tian – Das Geheimnis der Schmuckstraße“ konventionell, aber handwerklich solide. Da wischen blitzschnell Schemen durchs Bild, wird mit Knalleffekten erschreckt und ein Haus wird so unheimlich ausgeleuchtet, dass die neuen Bewohner vom ersten Schritt über die Schwelle an wie verflucht wirken.
Interessant wird der Film, weil seine Geister aus der deutschen Geschichte stammen. Das Spukhaus steht in Hamburg-St. Pauli in der Schmuckstraße. Dort gab es in den 1920er- und 1930er-Jahren ein kleines Chinesenviertel. Am 13. Mai 1944 führte die Gestapo eine „Strafaktion“ durch, bei der 129 Chinesen verhaftet und in ein Arbeitslager verschleppt wurden. Viele von ihnen wurden ermordet.
Die Drehbuchschreiber Stefan Gieren und Georg Tiefenbach haben die historischen Vorkommnisse gründlich recherchiert und so wird der Gruselfilm mehr als nur eine Stilübung in einem Genre. Die Geister im Haus sind also chinesische Kinder, die von der Gestapo ermordet wurden. Als eine junge, psychisch labile Frau und ihre Tochter viele Jahrzehnte später dort einziehen, werden sie von ihnen heimgesucht.
Schließlich verschwindet die Frau, ihre Tochter liegt nach einem psychischen Zusammenbruch auf der Intensivstation. Und ihr Vater kann sie nur retten, wenn er herausfindet, was im Spukhaus passiert ist.
Wirklich spannend ist der Gruselthriller nicht – dazu ist die Geschichte zu konstruiert. Aber Schipporeit kann atmosphärisch stimmig erzählen, und er hat weitgehend an Originalschauplätzen auf St. Pauli gedreht. In einer Einstellung zeigt er einen „Stolperstein“ auf dem Straßenpflaster der Schmuckstraße, mit dem an den dort von Nazis verhafteten und ermordeten Bewohner Ho Danshaw erinnert wird. Mit Katharina Schüttler, Stephan Kampwirth und Bella Bading hatte er zudem drei Hauptdarsteller, die glaubhaft bleiben, auch wenn sie sich ständig erschrecken müssen.
Der Film entstand im Rahmen des Nachwuchsprogramms „Nordlichter“ des NDR, der Filmförderung Hamburg SchleswigHolstein und der Nordmedia. Heute kommt er in die Kinos, am 25. Oktober wird er dann auch im NDR-Fernsehen gesendet.
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