: Gemalte Gedankenspiele
Die Hamburger Deichtorhallen zeigen die erste größere Einzelausstellung mit Bildern von Charline van Heyl. Interessant sind dabei die Unterschiede zum nebenan präsentierten Dänen Asger Jorn: Bei von Heyl sind Unordnung und Farbe nur noch zahme Stilmittel
Von Radek Krolczyk
Die Haltung des Künstlers oder Künstlerin: Wie wichtig sie für den Sinngehalt des Werkes sind, macht derzeit eine Doppelausstellung in den Hamburger Deichtorhallen anschaulich. Dort wird in zwei voneinander abgetrennten Ausstellungsbereichen ein Querschnitt durch die Arbeiten des dänischen Malers Asger Jorn und der in Deutschland geborenen Malerin Charline von Heyl gezeigt. Über Jorns Werkschau berichtete die taz bereits. Die Kuratoren suggerieren durch ihre Doppelshow eine große Nähe zwischen dem 1973 verstorbenen Vertreter der Nachkriegsmoderne und der erst 1960 geborenen Künstlerin. Tatsächlich kann man in den Bildern von Charline von Heyl einige bewusste oder unbewusste Bezüge zu Asger Jorn entdecken.
Da wäre an erster Stelle der Rückbezug auf die Malweise der Expressionisten, die erdige Farbe oder der Hang zur Unordnung. Weit interessanter aber sind die Unterschiede. Denn was bei Jorn, dem Kommunisten, Widerstandskämpfer gegen die Nationalsozialisten und Situationisten die Haltung ist, scheinen bei von Heyl nur noch Stilmittel zu sein.
Charline von Heyl produziert solide Kunstmarktkunst. Es sind harmlose, großformatige, meist abstrakte Bilder. Das ist nicht weiter schlimm, denn auch Kunstmarktkunst kann interessant sein. Zur politisch-existenziellen Malerei des dänischen Gründers des Skandinavischen Instituts für Vergleichenden Vandalismus jedoch ist es ein Unterschied ums Ganze.
Die 1960 in Mainz geborene und in Bonn aufgewachsene Künstlerin ist vor allem in den USA erfolgreich, wo sie von der New Yorker Galerie Petzel vertreten wird. Ihre Bilder sind Bestandteil wichtiger Sammlungen, etwa des New Yorker Whitney Museum of American Art, des Museum for Contemporary Art in Los Angeles oder des Museum of Modern Art San Francisco.
Die Ausstellung in den Deichtorhallen ist Charline von Heyls erste größere institutionelle Einzelpräsentation in Deutschland. Dabei hatte sie in den 1980er-Jahren bei erfolgeichen Malern studiert, zunächst bei Jörg Immendorff in Hamburg, anschließend bei Fritz Schwegler in Düsseldorf. Mitte der 1990er-Jahre zog sie nach New York, wo sie bis heute lebt, verheiratet übrigens mit dem ebenfalls erfolgreichen Maler Christopher Wool.
Das Besondere an den abstrakten Bildern von Charline von Heyl ist, dass es immer etwas gibt, das nicht stimmt. Jeder malerischen Ordnung wohnt ein Moment von Unordnung inne, das man oftmals zunächst nur unbewusst wahrnimmt. Das betrifft selbst noch die unordentlichste Unordnung: Auch hier sind Momente enthalten, die so entschieden wie subtil gegen die Grundanlage der Bilder angehen.
Am offensichtlichsten finden sich diese Störmomente in Bildern wie „Killiersmile“ von 2011, einem rund zwei mal zwei Meter großem Bild, das aus hautfarbenen Vertikallinien besteht. Manche dieser Stäbe sind etwas dunkler, sie verlaufen leicht schräg. Eine dieser Linien hat sogar einen Knick, von dem aus eine schwarze, keilförmige Horizontallinie einen Teil des Bildes durchschneidet, das Grinsen des Mörders, sozusagen. Die Störung ist hier direkt im Bild enthalten und man könnte streiten darüber, ob der Titel die Störung nicht sinnstiftend auffängt, sie also schwächt.
Möglicherweise aber sind es bereits die Bilder selbst, die sich nicht verhalten wollen, die niemanden wirklich ärgern möchten. Es ist eine Art Nichtverhalten, das so gut in die Zeit der Anfänge der künstlerischen Laufbahn von Charline von Heyl passt, die frühen 1990er-Jahre. Die Geschichte galt als abgeschlossen, das Menschheitsziel erreicht. Das Gröbste, was man als Kritik durchgehen ließ, war distanzierte Ironie. Die Formen, Symbole und Zeichen, die sie in ihren Bildern verwendet, sind ohne alle Referenz und Bedeutung, sie sind vielleicht nicht einmal mehr wirklich ironisch.
Dabei ist es gerade der Reichtum an unterschiedlichen Bezügen, für den Charline von Heyl gefeiert wird. So schreibt denn auch Dirk Luckow, der Intendant der Deichtorhallen, in seinem Katalogbeitrag: „Ihre Werke wecken viele Assoziationen, an Kunstgeschichte, aber auch an bekannte Formen, einen Kegel, eine Jalousie, einen Kamm oder ein Stück Textil. Das an Comics denken lässt. So fließen in ihre abstrakten, gestischen Grundformen ständig zeitgenössische Bildwelten und Details von heute ein.“
Die Malerei gewordenen Realismen, so Luckow weiter, erschienen dabei provisorisch, seien nur angedeutet – Möglichkeitsform: „Ihre Bespiegelung der Wirklichkeit ist weit mehr als bloßes Abbild dieser Wirklichkeit. Sie ist Gedankenspiel oder auch Persiflage, aber eben nicht darauf festgelegt.“
Ein solches Verständnis von Bild hatte sich für eine Weile erledigt, nun ist es wieder da. Besucht man die Absolventen- und Preisausstellung junger Künstlerinnen und Künstler, begegnet man heute in der Malerei nahezu ausschließlich solchen Strategien.
Nicht in allen ihren Bildern spielen grafische Strukturen eine Rolle. Besonders sticht der „Roadrunner“ von 2015 hervor, ein schwarz gekrakelter Wirbel auf gelbem Grund, eine Art Schnabelschnauze rechts, ein Art Flügel links, unten ein Paar Füße, die sich durch ihr großes Tempo dem Auge entziehen.
Insgesamt ein sehr schönes, dreckiges Bild, eine Art Bad Painting, eng verwandt mit den Bildern ihrer Galeriekollegin, der Malerin Joyce Pensato. Die Figuration, die von Heyl hier vor allem durch den Titel andeutet, bedeutet in Bildern wie diesen vielleicht am allermeisten.
Die Malerin selbst lehnt heute solch eine Malweise ab. Im Interview mit der Kuratorin Evelyn C. Hankins, das sich im Ausstellungskatalog findet, erzählt sie: „In dem Kontext, aus dem ich komme – den Achtzigern in Westdeutschland –, war das Provozieren des Betrachters das angesagte Ding, hauptsächlich durch Ironie.“ Letztere habe einen sicheren Raum geschaffen, „in dem ich heimlich ehrlich, neugierig und manchmal schlicht doof sein konnte. Diesen sicheren Raum brauche ich nicht mehr.“
Bemerkenswert ist übrigens auch die Hängung der Großformate in den Deichtorhallen. Die Wände sind speziell für diese Ausstellung so gezogen worden, dass man sich im Inneren nur noch Stirnseiten gegenüber sieht, egal wohin man blickt. Die Fluchten der Gänge sind so gelegt, dass man umgeben ist von zentralen Bildern. Plötzlich ist jedes Bild das zentrale Bild.
Eine Dezentralisierung ist das aber nicht, dem Betrachter gegenüber büßen die Bilder nicht an Autorität ein, er sieht sich stattdessen ganz vielen Autoritäten gegenüber. Das ist dann schon ein wenig lustig, dieser Overkill an großen Bildern, die sich mutig behaupten, ihrem Betrachter gegenüber aufbauen – und dabei nichts bedeuten.
„Charline van Heyl – Snake Eyes“: bis 23. September, Deichtorhallen/Halle für aktuelle Kunst, Hamburg
Der Autor ist Betreiber der Galerie K’in Bremen
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