portrait
: Mr. Global Player mit Anstand

Heinrich von Pierer ist einen schmerzhaften Weg gegangen. Er ließ sich zur Kaltherzigkeit zwingen. 13 Jahre hat er diese Wandlung als Chef der Siemens AG durchlitten – nun ehrt Kanzlerkandidatin Angela Merkel ihn, indem sie von Pierer zum Vorsitzenden des „Rats für Innovation und Wachstum“ beruft – einer wirtschaftspolitischen Artusrunde aus zehn Managern und Wissenschaftlern.

Merkel hofft, von der Marke „Heinrich von Pierer“ zu profitieren. Der politische Marktwert des „Mr. Global Player“ basiert darauf, dass der 64-jährige Manager die lahme Firma Siemens zum transnationalen Konzern gemacht hat, der das meiste Geld im Ausland verdient und weit mehr als die Hälfte seiner Mitarbeiter außerhalb Deutschlands beschäftigt. Die deutsche Wirtschaft kann erfolgreich sein, wenn sie die Zustände der alten Bundesrepublik hinter sich lässt, lautet die Botschaft, die Merkel mit dem Namen von Pierer sendet.

Kurz nachdem die gemütliche Bonner Republik ihre Existenz ausgehaucht hatte, stieg der studierte Ökonom von Pierer 1992 zum Vorstandsvorsitzenden der Siemens AG auf. Lange Jahre versuchte er an dem festzuhalten, was Merkel als Sozialromantik bezeichnen würde: sichere Arbeitsverhältnisse, hohe Löhne, kein Stress mit dem Betriebsrat. Die liberale Wirtschaftspresse, die Aktionäre und selbst die Familie Siemens hackten auf von Pierer herum, weil der Konzern mit der Beschäftigtenzahl einer mittleren Großstadt (rund 400.000) zu wenig Gewinn erwirtschafte. Schließlich beschleunigte der Vorstand das Tempo: Was möglich war, wurde verkauft, zerlegt, an die Börse gebracht.

Dieser Weg führte geradewegs zum Konflikt vom Sommer 2004: Mit der Drohung, zwei deutsche Werke für Mobiltelefone zu schließen, presste von Pierer der Belegschaft die Verlängerung der Arbeitszeit auf 40 Stunden pro Woche ohne Lohnausgleich ab. Globaler Kapitalismus made in Germany, fürchtete die IG Metall, bedeute fortan westliche Technik plus östliche Sozialstandards.

Dennoch kämpft von Pierer nicht in derselben Liga wie etwa Josef Ackermann (Deutsche Bank) oder Jürgen Schrempp (DaimlerChrysler). Ein gewisses Augenmaß für den sozialen Ausgleich hat er sich bewahrt. Oft genug waren es die leitenden Angestellten und Manager, die unter seiner Regie zuerst an Wohlstand einbüßten – bevor die normalen Beschäftigten an die Reihe kamen. Profit und Mitarbeiterinteressen „sind die zwei Seiten derselben Medaille“, pflegt der jetzige Chef des Siemens-Aufsichtsrates zu sagen. Dem Markt vieles zu opfern ist von Pierer bereit. Gern und freiwillig tut er es nicht.

HANNES KOCH

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