: Wieder Schüsse an der Grenze
TÜRKEI/SYRIEN Regierungschef Erdogan warnt vor einem Krieg mit dem Nachbarland. Beobachter rechnen mit einem Einmarsch, falls es erneut Verletzte oder Tote gibt
AUS ISTANBUL JÜRGEN GOTTSCHLICH
Der Grenzkonflikt zwischen der Türkei und Syrien droht weiter zu eskalieren. Trotz der Beteuerungen aus Damaskus, dafür zu sorgen, dass es keine weiteren Grenzverletzungen gebe, landeten am Samstag erneut drei syrische Mörsergranaten auf türkischem Territorium. Dieses Mal nicht mehr in Akcakale, wo am Mittwoch fünf türkische Zivilisten getötet worden waren, sondern in der Provinz Hatay, nahe der syrischen Flüchtlingslager von Yayladag.
Zwar detonierten die Granaten vom Wochenende auf freiem Feld, ohne Menschen zu verletzen. Dennoch feuerte das türkische Militär umgehend erneut auf Stellungen der syrischen Armee. Bereits am Donnerstag hatte das türkische Parlament die Regierung ermächtigt, alle nötigen Maßnahmen zum Schutz der Grenze zu ergreifen, und damit auch für grenzüberschreitende Interventionen einen Blankoscheck ausgestellt.
Sollten erneut Zivilisten verletzt oder getötet werden, rechnen politische Beobachter in der Türkei damit, dass das Militär Bodentruppen über die Grenze schicken wird. In einer Rede am Freitag hatte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan nochmals ausdrücklich vor einem Krieg mit Syrien gewarnt. Sinngemäß sagte er, „wer den Frieden will, muss zum Krieg bereit sein“, und ließ keinen Zweifel daran, dass die Streitkräfte auf eine Intervention in Syrien vorbereitet seien. Der für Europafragen zuständige Minister Egeman Bagis tönte gar, die Streitkräfte könnten innerhalb weniger Stunden Damaskus erobern.
International wächst deshalb die Besorgnis, dass der Bürgerkrieg in Syrien auf die umliegenden Länder übergreifen könnte. Außer an der türkischen Grenze gab es schon Grenzverletzungen in Jordanien und dem Libanon. Selbst Israel hatte seine Truppen auf den Golanhöhen zeitweilig in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Trotzdem gibt es immer noch keine eindeutige internationale Reaktion, um die Ausweitung des Krieges oder gar den Bürgerkrieg in Syrien selbst zu stoppen.
Am Freitag hatte sich zwar der UN-Sicherheitsrat erstmals zu einer einhelligen Verurteilung Syriens wegen der Verletzung der türkischen Grenze durchgerungen. Weitergehende internationale Maßnahmen will Russland aber nach wie vor nicht zulassen. Auch die USA und die Nato sind nach wie vor strikt darauf bedacht, nicht in den Konflikt verwickelt zu werden.
Erstmals hat jetzt aber der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu eine denkbare politische Lösung angedeutet. Syriens Vizepräsident Faruk al-Schaara, sagte Davutoglu in einem TV-Interview, sei „ein Mann der Vernunft und des Gewissens, der eine Übergangsregierung anführen könnte“.