piwik no script img

Des einen Wahl, des anderen Qual

Der Verein Mehr Demokratie will wie 2006 per Volksbegehren das Wahlrecht ändern. Er stößt damit auf scharfe inhaltliche Kritik

Von Benno Schirrmeister

Jetzt geht die Sammelei wieder los. Mitte November müssen es 24.380 gültige Unterschriften sein, fünf Prozent der Wahlberechtigten, sonst findet der Volksentscheid nicht statt. „Praktisch brauchen wir 30.000, um auf der sicheren Seite zu sein“, sagte Katrin Tober, Vertrauensperson des Volksbegehrens „Mehr Demokratie beim Wählen“ bei der Auftaktveranstaltung vergangene Woche auf dem Marktplatz.

„Momentan“, sagt Dirk Schumacher vom Mehr-Demokratie-Verein (MD), „sind sechs Sammler von uns unterwegs.“ Aber das würden sicher bald mehr. Man sei halt wirklich „noch ganz am Anfang“, so Schumacher. Und der Ausgang ist völlig offen. Denn klar: Als es 2006 darum ging, direktdemokratisch eine Wahlrechtsreform zu erzwingen, lag die Hürde viel höher und dennoch hatte man sie mit 70.000 Unterschriften bequem gemeistert. Aber damals war auch der Leidensdruck ein anderer.

Bremen hatte seinerzeit eins der rückständigsten Landeswahlrechte Deutschlands. Es gab Parteilisten und pro Wahlberechtigten ein Kreuz. Seit der Reform haben alle Wahlberechtigten fünf Stimmen, die sie auf Parteilisten und persönliche Lieblingskandidat*innen verteilen dürfen. Diese Grundstruktur bleibt.

Das aktuelle Volksbegehren soll eine von der Bürgerschaft im Februar beschlossene Nachbesserung kippen. Deren Ziel war, die Bedeutung der Personenstimmen bei der kommenden Wahl zurückzudrängen. MD will den individuellen Einfluss auf die personelle Zusammensetzung der Bürgerschaft stärken und sogar etwas weiter ausbauen.

Auch hatte MD seinerzeit auf den Rückhalt etlicher zivilgesellschaftlicher Akteure bauen können. Vom Bündnis Attac über die Shakespeare Company bis hin zum DGB und dem Verband der Selbstständigen Unternehmer unterstützten sehr unterschiedliche Gruppen das Anliegen, und auch Parteien waren mit an Bord: FDP und Grüne plus deren jeweilige Jugendorganisationen, aber auch die dezidiert linken Kräfte, WASG und die PDS riefen zum Mitzeichnen auf.

Das hat sich grundlegend geändert. So hält Matthias Güldner (Grüne), der Mitglied im Wahlrechtsausschuss war, den Vorstoß mindestens für verfrüht: „Die haben vollkommen unbenommen das Recht, ihr Volksbegehren zu machen“, sagt er auf Nachfrage. Güldner war 2006 noch ein begeisterter Vorkämpfer der Reform und Erst­unterzeichner des damaligen Volksbegehrens. Diesmal wäre er „dafür gewesen, dass man sich erst einmal nicht nur anhand von Modellrechnungen anschaut, wie sich auswirkt, was wir in der Bürgerschaft beschlossen haben“. Von den Heilungsregeln, die im MD-Entwurf dafür sorgen sollen, dass die infolge der Wahlrechtsreform gestiegene Zahl ungültig gewerteter Stimmen wieder zurückgeht, hält er wenig.

Deren Einführung hatten die Grünen im Wahlrechtsausschuss torpediert. Die Linke fordert sie, und deren Fraktionsvorsitzende Kristina Vogt will weiter für sie kämpfen, „aber parlamentarisch“. Die übrigen Ziele des Volksbegehrens lehnt sie hingegen ab: „Aus meiner Sicht begünstigt das von Mehr Demokratie propagierte Wahlrecht die Prominenten und diejenigen, die über Mittel verfügen, sich bekannt zu machen“, sagt Vogt. „Das ist das Wahlrecht des Stärkeren.“

Von der Linken sei daher „keine Unterstützung fürs Volksbegehren“ zu erwarten. Denn weder gehe es dabei um ein paar technische Schraubereien noch um mehr Demokratie: „Es geht um ein anderes Demokratieverständnis.“ Denn bei einem Wahlrecht, das stärker dem Prinzip der Personalisierung verpflichtet sei, gehe der Ausgleich verloren, für den Parteien sorgen müssten: „Wir sitzen für viele im Parlament, die oft gar nicht wählen“ – nicht nur aus Desinteresse, sondern auch, weil sie das Wahlrecht ausschließt.

„Das kann ich so nicht erkennen“, sagt Schumacher. MD halte ja an der repräsentativen Demokratie fest, die Parteien schlügen weiterhin die Kandidat*innen vor, „nur die Reihenfolge ändert sich“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen