: Wildwest bei VW „Marrakesch“
Die IG Metall wütet gegen ein Ultimatum des VW-Vorstands Wolfgang Bernhard: Der hatte gedroht, den neuen Geländewagen in Portugal und nicht in Wolfsburg bauen zu lassen. Dort käme die Produktion gut 1.000 Euro billiger
Heute beginnt für sie ein neuer Lebensabschnitt: 570 Jugendliche fangen im Wolfsburger VW-Werk eine Ausbildung an. Doch was die Zukunft im Stammwerk für sie und die etwa 100.000 weiteren westdeutschen VW-Werker bringen wird, ist derzeit mehr denn je ungewiss.
Es war schon ungewöhnlich, dass VW-Markenchef Wolfgang Bernhard am Dienstag per Pressemitteilung verlauten ließ, der neue Geländewagen auf Golf-Basis werde ab 2007 in Portugal gefertigt. Ein VW-Komitee habe dies empfohlen, weil die Produktionsstätte in Palmela den Wagen mit dem Arbeitstitel „Marrakesch“ um gut 1.000 Euro billiger fertigen könne als das Wolfsburger Stammwerk.
Nur wenn die Wolfsburger bis zum 26. September einwilligten, den „Marrakesch“ zu den Tarifbedingungen der VW-Tochter „Auto 5.000“ zu produzieren, bekämen sie den Zuschlag. Bei „Auto 5.000“ fertigen seit drei Jahren 3.800 VWler den Minivan Touran – für etwa 2.560 Euro brutto im Monat, gut ein Fünftel unter dem bei VW üblichen Löhnen. Der im Strudel der VW-Affäre zurückgetretene Personalvorstand Peter Hartz hatte sich das Modell einst ausgedacht, um Arbeitslose einzustellen.
Das drohende Ende des VW-Haustarifs sowie der Erpressungsversuch Bernhards trieb Arbeitnehmervertreter gestern auf die Palme. Während der neue Betriebsratschef Bernd Osterloh ankündigte, dafür zu kämpfen, dass die Produktion nach Wolfsburg geholt werde, sagte IG Metall-Bezirkschef Hartmut Meine, auch „Herr Bernhard“ müsse „zur Kenntnis nehmen, dass hier nicht Verhältnisse wie im Wilden Westen herrschen“.
Noch gilt in Wolfsburg der Tarifvertrag aus dem vergangenen November. Darin hatten die Volkswagen-Arbeiter nicht nur auf Überstundenzuschläge und höhere Stundenlöhne verzichtet und im Gegenzug eine Jobgarantie für alle westdeutschen Werke bis Ende 2011 erhalten. Im Vertrag war auch der Bau des Marrakesch in Wolfsburg zugesagt worden – wenn das Modell wettbewerbsfähig produziert werden könne.
Weil die Arbeitnehmervertreter nach all den Skandalen um Tarnfirmen und Lustreisen angeschlagen sind, ließ Meine natürlich den Verhandlungsweg offen: Eine Lösung, „die gleichzeitig Arbeitsplätze und Wettbewerbsfähigkeit sichert, ist möglich“. Das Land Niedersachsen als größter VW-Aktionär äußerte sich indes vorsichtig. Man werde sich nicht in den Konflikt einmischen, sagte ein Sprecher von Ministerpräsident Christian Wulff (CDU). Allerdings ließ er offen, ob die Landesregierung auch Staatshilfen für den Marrakesch bereitstellen könnte.
Die Drohgebärde des von DaimlerChrysler einkauften Sanierers Bernhard lässt keinen Zweifel daran, dass die goldenen Zeiten für VW endgültig vorbei sind. Die Stammmarke Volkswagen fährt weiter Verluste ein, das mit rund 50.000 Mitarbeitern größte Werk des Konzerns in Wolfsburg ist wegen der schleppenden Nachfrage nach dem VW-Zugpferd Golf derzeit nur zu 70 Prozent ausgelastet. Auch wenn die geplante Produktion des „Marrakesch“ nur etwa 1.000 Arbeiter beschäftigt, wäre die Verlagerung ein herber Schlag für das Werk – und eine Vorgabe für die weitere Auslagerung neuer Modelle in die günstiger produzierenden VW-Standorte in aller Welt. Kai Schöneberg