Schwankender Boden

In St. Pauli drohen Abrisse, weil viele Gebäude zum Teil auf weichem Untergrund stehen. Aktuell ist die Wohlwillstraße 19/23 gefährdet

Bei der Sanierung stellt sich die Frage, welchen Standard man will

von Gernot Knödler

St. Pauli ist auf Sumpf gebaut. Viele Häuser im Sanierungsgebiet Wohlwillstraße stehen zum Teil auf so genannten Torflinsen, den weichen Resten ehemaliger Moore, in denen sie allmählich versacken. So zumindest sieht es die Stadterneuerungs- und Stadtentwicklungsgesellschaft (Steg). Sie rechnet damit, dass in den kommenden Jahren eine Reihe von Häusern abgerissen werden muss, weil ihre Sanierung teurer wäre als Neubauten. Akut ist der Fall der Wohlwillstraße 19/23, für deren Erhaltung eine Anwohnerinitiative kämpft (taz berichtete). Deren Sachverständiger hält einen Abriss nicht für zwingend.

Die Gründerzeithäuser haben gelitten, das räumt auch der Bauingenieur Arndt Meckseper ein, der sich die Wohlwillstraße 19/23 im Auftrag der Anwohnerini angesehen hat: Die Fassade habe Risse, allerdings nur im letzten Fünftel zum Haus Nummer 17 hin. „Der Rest überstand die Senkung schadensfrei“, sagt Meckseper. Die alten und geflickten Risse seien offensichtlich schon vor langer Zeit entstanden.

Die meisten Fußböden der Wohnungen wiesen tatsächlich ein Gefälle auf, sagt Meckseper, im Durchschnitt allerdings nur drei Zentimeter. Maximal will er elf Zentimeter gemessen haben, die Steg 15 Zentimeter. Dass viele Balken morsch sind, wie es die Steg vermutet, glaubt der Ingenieur nicht. Nach Auskunft eines ehemaligen Mieters sei der Holzbock in einem Balkenende erfolgreich bekämpft worden. Seinen Tests zufolge müssten die Balken in Ordnung sein. Auch die Steg habe nur an wenigen Stellen unter die Dielen gespäht, vermutet Meckseper, zumindest habe er „kein Gutachten gesehen“.

Der zentrale Punkt ist jedoch die Standtfestigkeit der Häuser, die nach Ansicht der Steg nicht auf lange Sicht gegeben ist. Die Häuser ruhten nicht auf Pfählen, sondern nur auf einem flachen Fundament in einem Gebiet, wo sich fester Boden mit „organischen Weichschichten“ abwechsle. Zwar habe sich zurzeit „eine Art Gleichgewichtszustand“ gebildet, so dass sich die Häuser nicht weiter verformten. „Dennoch sind gerade in jüngster Zeit weitere Setzungen aufgetreten, die durch Umbaumaßnahmen, wie zum Beispiel durch den Einbau von Küchen und Bädern, auch in Zukunft auftreten werden“, schreibt Gebietsbetreuer Ralf Starke in den neuesten Quartiersnachrichten für das Sanierungsgebiet.

Meckseper hält es für unwahrscheinlich, dass es zu weiteren Verwerfungen kommen wird, selbst wenn Küchen und Bäder eingebaut werden sollten. Schließlich hätten die Häuser 130 Jahre Zeit gehabt, sich zu setzen. Überdies stelle sich die Frage, „welchen Standard man will“. Bei einer schlichten Sanierung, die die anerkanntermaßen günstigen Grundrisse der Wohnungen beibehalten und die Druckverhältnisse nicht verändern würde, gäbe es keine neuen Verwerfungen. Weil die Zinsen niedrig sind, könnte möglicherweise auf eine Förderung verzichtet werden und trotzdem preiswerter Wohnraum entstehen, findet Ingolf Goritz (GAL) vom Ausschuss für Wohnen und soziale Stadtentwicklung in Mitte.

Der Hauptausschuss der Bezirksversammlung wird sich am Dienstag mit der Zukunft der Häuser befassen. Ihm liegt eine Empfehlung des Sanierungsbeirates vor, die Häuser als ganze zu sanieren, mindestens aber die Vorderfassade zu erhalten.

Die Entscheidung des Ausschusses könnte richtungweisenden Charakter für die Entwicklung des Quartiers haben, denn das Problem des stellenweise weichen Untergrunds macht vielen Häusern zu schaffen, etwa der Wohlwillstraße 27 und der Hein-Hoyer-Straße 68. Die umkämpften Terrassen in der Talstraße wurden nicht zuletzt deshalb abgerissen. Es bleibe festzuhalten, „dass es aufgrund der mangelnden Tragkraft des Bodens im Sanierungsgebiet in den nächsten Jahren vermutlich zu mehr Abrissen kommen kann, als derzeit feststeht“, resümiert Gebietsbetreuer Starke.