Eintauchen in die Welt des Kinos

Ein Großer der Leinwand ist in einer großen Werkschau mit 38 Filmen, davon 27 in Hollywood entstanden, zu erleben: Noch bis zum 30. September läuft im Zeughauskino die „Hommage an Peter Lorre“

Marian Marsh und Peter Lorre in „Crime and Punishment“ (1935), Lorres zweite Hollywoodrolle Foto: filmexil@synema.at

Von Peter Nau

Peter Lorre, 1904 als László Loe­wenstein am Fuße der ungarischen Karpaten geboren, entzog sich der schicksalhaften Langeweile eines Angestelltendaseins, indem er abends durch die Thea­ter streifte und bald selbst mitspielte, ab 1926 in den Wiener Kammerspielen. Ein Foto zeigt ihn in lässiger Sitzhaltung auf der Bühne, ganz in einem abwesenden, betrachtenden Zustand befangen. Die Wirkung ist dieselbe wie später bei seinen Filmen: Mehr als Handlung und Tat vermag das träumerische Sinnen auf uns zu wirken; sind doch die Beobachtungen und Begegnisse des Einsam-Stummen zugleich verschwommener und eindringlicher als die des Geselligen.

Im Jahre 1931, als Lorre durch seine Filmrolle des Kindermörders in Fritz Langs „M“ schlagartig weltberühmt wurde, fand im Berliner Staatstheater unter der Regie von Brecht eine Aufführung von dessen Lustspiel „Mann ist Mann“ (1926) statt. Die überlieferten Dokumente und Kommentare zu diesem Ereignis geben mir ein Bewusstsein davon, worin das auf seltsame, geheimnisvolle Weise Anziehende, ja Fesselnde im Spiel Peter Lorres liegt: Er spielte da einen Mann, Galy Gay, bei dem der Ton des Lebens noch weich ist – wie die brahmanenmäßige Weichheit seiner Glieder –, dessen Ich- und Mein-Gefühle noch nicht erstarrt sind in der Zersplitterung des Einen. Er spielte nicht eine einzige unwandelbare Figur, sondern eine sich ständig ändernde und in der Art, sich zu ändern, immer deutlicher werdende Figur.

Eine Weltlage, die es mit sich brachte, dass die ganze deutsche Literatur, die irgendwie mitzählt, sich in Amerika befand, desgleichen so gut wie alle bedeutenden Vertreter der europäischen Musik, führte natürlich auch zum Exodus derer, die dem deutschen Film Weltgeltung verschafft hatten. Lorre und Brecht trafen sich in Hollywood wieder.

27 US-Filme aus den 30er, 40er, 50er und 60er Jahren laufen im Rahmen dieser Retro­spektive, die hinter der fließenden, vieldeutigen, bruchlosen Lebendigkeit der Filme immer auch die scharfen Konturen, die Härten des Systems Hollywood – vermittelt durch Peter Lorres Lebensschicksal – in Erinnerung ruft. Brecht, der 1941 dort angekommen war, hat die Stadt, die nach den Engeln benannt ist, in seinen „Hollywood-Elegien“ und verwandten schmerzlich schönen Gedichten aus dieser Zeit besungen.

Ganz in einem abwesenden, betrachtenden Zustand befangen

„Wie später die Filmindustrie Hollywoods“, schrieb Helmut Färber in „Baukunst und Film“ (1977), „sind sie [die Städte] Produkt einer Gleichzeitigkeit, Verbindung von Kapitalismus und Phantasie: trügerisch und wirklich, Wahrheit und Lüge in einem, haben sie ‚Stadt‘ zu einem Inbegriff von reichstem Leben gemacht, der nun als festgehaltene Erinnerung die Einsicht verdrängt, daß jene Verbindung notwendig von kurzer Dauer war.“

Viele dieser Hollywoodfilme, die jetzt an den schönen Sommerabenden laufen, sah ich in meiner Jugend. Noch einmal möchte ich sie so empfinden wie damals: durch die Tür des Films auf einen Augenblick hineintauchen in die Welt des Kinos. Man träumte sich in das Entzücken eines Besitzes.

1950 rief Brecht in seinem Gedicht „An den Schauspieler P. L. im Exil“ Peter Lorre zurück nach Deutschland; er wollte ihn am Berliner Ensemble haben. Jener folgte diesem Ruf nicht. Aber in eigener Regie drehte er 1951 in Hamburg „Der Verlorene“, mit sich selbst in der Hauptrolle. In Rückblenden zeigt dieser dunkel-traumhafte Film ein Nazideutschland, das, von Dämonen umschlungen, von Verzweiflung zu Verzweiflung hinabstürzt. Von seiner Schuld gequält, bringt der von Lorre gespielte Arzt sich am Ende um. Der Schauspieler kehrt in die USA zurück, spielt dort weiter in Filmen und stirbt am 23. März 1964 in Hollywood.

Die „Hommage an Peter Lorre“ läuft bis 30. September im Zeughauskino, www.dhm.de/zeughauskino