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Kämpfe in Carnoustie

Bei der British Open der Golfer geht es nicht nur um den Sieg, sondern auch um Empfehlungen für den Ryder Cup, der heuer in Frankreich stattfindet

Bester Franzose in der Weltrangliste: Alexander Lévy übt auf den Grüns der British Open in Carnoustie Foto: reuters

Von Bernd Müllender

In geraden Jahren kommt den British Open neben der traditionstriefenden Üblichkeit als ältestes Golfturnier der Welt (seit 1860) eine besondere Bedeutung zu. In geraden Jahren, wie auch 2018, wird am Saisonende der Ryder Cup gespielt, das elektrisierende Mannschaftsduell Europa gegen USA. Jetzt, im Juli, werden allmählich die Weichen gestellt, wer Ende September dabei sein wird.

Martin Kaymer wird mit größter Wahrscheinlichkeit nicht zu Europas zwölf Auserwählten gehören, erstmals seit 2008. Der zweifache Major-Sieger, ehemals Weltranglistenerster, der den entscheidenden Sieg-Put 2012 beim Ryder Cup versenkte, ist auf Platz 119 der Weltrangliste abgestürzt. Wohlwollend gesagt, ist sein Spiel zu wechselhaft – bei den German Open im Juni wurde er Zweiter, respektabel, aber von den Weltstars war kaum wer am Start. Von den letzten zehn Turnieren schaffte Kaymer sechsmal den Cut nicht – unterirdisch.

Umso erstaunlicher, dass Kaymer die Ehre gebührt, in der ersten Gruppe am Donnerstag abzuschlagen: 7.35 Uhr Ortszeit. Zusammen mit Urgestein Sandy Lyle wird er die 147. Open eröffnen, in Carnoustie an der schottischen Ostküste. Lyle, 60, ist Schotte und gewann hier 1985. Honorary Starters sagt man dazu. Eigentlich machen das ganz Alte wie Jack Nicklaus und Gary Player, zusammen 160 Jahre alt, die jedes Jahr die Masters in Augusta eröffnen. Kaymer also als Jungsenior, ein ehemals Großer.

Der Ryder Cup wird erstmals in Frankreich gespielt – und das Land hat ein Problem: bislang nur müdes Interesse für das wichtigste Golfturnier der Welt im Land des Fußballweltmeisters. La Grande Nation ist golferisch ein Kleinstaat. Ob Staatspräsident Emmanuel Macron mit einem leidenschaftlichen Appell aufzurütteln versucht? Der Ryder Cup ist der einzige Sport weltweit, bei dem ein gemeinsames Europateam antritt, unter der blauen Europafahne, mit der Europahymne „Ode an die Freude“, mit Fans, die „Europe, Europe“ brüllen. Eine Szenerie wie gemacht für den EU-Enthusiasten Macron.

Wichtig wäre ein Franzose im Europateam. Der Schafzüchtersohn und Sardinenfischer Arnaud Massy aus Biarritz, Open-Gewinner von 1907 (einziger französischer Major-Sieg), kommt nicht mehr infrage. Derzeit Bester ist Alexander Lévy, Weltranglistenplatz 63. Vor ihm sind 15 andere Europäer platziert.

Van der Velde stand hilflos mitten im Tümpel. „Der Mann ist gaga“, sagte der BBC-Reporter

Carnoustie hat seine ganz spezielle französische Geschichte. Bei den Open 1999 führte überraschend der Franzose Jean Van der Velde vorm letzten Abschlag mit komfortablen drei Schlägen Vorsprung – uneinholbar normalerweise. Er verzog zwei Bälle und schlug den dritten ins Wasser. Er zog sich Socken und Schuhe aus und wollte die Physik besiegen: Einen Ball aus 20 Zentimeter Tiefe kann man nicht herausspielen. „Der Mann ist gaga“, sagte der BBC-Reporter. Van der Velde stand hilflos mitten im Tümpel, zog die Beinkleider wieder an, spielte den Ball von draußen mit Strafschlag und hatte am Ende eine 7 auf dem Par-4-Loch. Das hieß Stechen – und das verlor er natürlich.

Das nasse Desaster gilt als eines der schlimmsten Unglücke der Golfgeschichte. Sein Malheur hat Van der Velde mit viel Selbstironie geschultert, seine Autogrammkarten zeigen ihn ratlos in Carnousties Wasser. 300 Millionen Menschen haben damals am Fernseher weltweit zugeguckt. „Ich vermute“, sagt Van der Velde heute, „mittlerweile haben mich alle von ihnen mal darauf angesprochen.“ 2005 übrigens hätte er fast die Open de France gewonnen, wenn er nicht am letzten Loch einen Ball ins Wasser geschossen hätte. Auf dem gleichen Platz, Golf National, wird jetzt der Ryder Cup gespielt.

Was der französische Wassermann lehrt: Keine Situation im Golf ist komfortabel genug, um nicht daran zu scheitern. Und in diesem Jahr gilt: Keiner hat einen Freifahrtschein für den Ryder Cup auf dem derzeit ausgedörrten, knochenharten Platz, der reichlich trockene Desaster erwarten lässt. Die Open kann selbst Bernhard Langer (Ehrenabschlag am Mittag) mit fast 61 Jahren gewinnen. Die Favoriten sind die üblichen Verdächtigen: Das US-Sextett Johnson, Thomas, Koep­ka, Fowler, Spieth, Reed; vielleicht der Brite Justin Rose oder der Spanier Jon Rahm. Tiger Woods ist qua Existenz ein Titelkandidat, solange er einen Schläger halten kann.

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