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Archiv-Artikel

Bis es richtig wehtut

Das Abgeordnetenhaus diskutierte über ein Grußwort, das der Regierende Bürgermeister für eine Leder- und Fetischveranstaltung verfasst hatte. Damit, so die CDU, öffne er allem Bösen Tür und Tor

VON MATTHIAS LOHRE

Es hatte doch so harmlos angefangen. Wieder einmal hatte die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus eine ihrer meist folgenlosen Presseerklärungen herausgegeben. Wieder einmal offenbarte sich hinter markigen Worten – „Sado-Maso-Straßenfest ebnet Weg zu mehr Gewalt und Verrohung der Sitten“ – die Angst des Kleinbürgers vor der Kompliziertheit der Welt. Aber diesmal brandete das Echo über Berlin hinaus. Selbst die ehrwürdige FAZ fand am Mittwoch auf ihrer Titelseite Platz für die Provinzposse, aus der mehr geworden war. Gestern kehrte die krude Debatte ins Abgeordnetenhaus zurück.

Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sollte dazu Stellung nehmen, dass er ein schriftliches Grußwort an die TeilnehmerInnen des „Folsom Europe“-Straßenfests in Schöneberg gerichtet hat. Das Treffen von etwa 15.000 Mitgliedern der Leder- und Fetischszene findet morgen zum zweiten Mal in der Hauptstadt statt. Mit herzlichen Willkommensworten der Industrie- und Handelskammer (IHK) und der Berlin Tourismus Marketing GmbH. Im vergangenen Jahr war die Unions-Empörung ausgeblieben. Aber diesmal gibt es ja das Grußwort des Regierenden – und den Bundestagswahlkampf.

Als der CDU-Abgeordnete Michael Braun den Regierungschef mit Fragen zum Grußwort in die Zange nehmen wollte, kam es auf seine Worte schon nicht mehr an. Die Stimmung im Plenum war bereits vergiftet. Im Raum standen die Äußerungen zweier Parteifreunde Brauns.

Frank Henkel, Unions-Generalsekretär, hatte per Presseerklärung verlautbart, er finde das etwas andere Tourismus-Marketing des Stadtoberhaupts „unerträglich“. Und er weiß genau, „wohin die Reise gehen soll: in eine enthemmte, sittenlose Gesellschaft, in der der Tabubruch einziger Inhalt ist“. Henkels Vision von Soddom und Gomorrha in Schöneberg teilt CDU-Fraktionschef Nicolas Zimmer: „Die Verherrlichung von Gewalt und Sado-Maso-Exzessen ist der Einstieg in den Ausstieg einer Gesellschaft.“

Nun wäre es leicht zu fragen, wie eine ganze Gesellschaft aus sich selbst aussteigen kann – und wo hinein. Aber die anfängliche Posse war außer Kontrolle geraten. Da half es nicht, dass Wowereit gestern einräumte, das „Folsom Europe“-Straßenfest sei „ein pikanter Fall“. Denn CDU-Mann Braun argwöhnte in Richtung der Fetischveranstaltung, dort würde „an Nazi-Uniformen erinnerndes Lederzeug“ mit „rassistischen Ressentiments“ gemischt. Seine Fraktionskollegin Katrin Schultze-Berndt packte die ganz grobe Keule aus: Wie sollten Kinder angesichts von Zurschaustellungen sadomasochistischer Praktiken lernen, mit Gewalt umzugehen? Noch drastischer hatte es zuvor CDU-Fraktionschef Zimmer formuliert: „Die zunehmende Brutalität gegen die Schwächsten in unserer Gesellschaft hat sicherlich auch ihre Ursache in der Verherrlichung menschenverachtender Gewalt.“ Die Tötung eines 7-Jährigen durch einen 16-Jährigen in Steglitz-Zehlendorf war da erst wenige Tage her.

In diese bizarre Gemengelage aus Vorwürfen und Unterstellungen hinein also nahm Wowereit Stellung zu seinem Grußwort. Und er tat, was er in einer solchen Situation gut kann – er gab den scheltenden Staatsmann: „Ich kann es nicht hinnehmen, dass die Menschen kollektiv angegriffen und vertrieben werden sollen aus der Stadt.“ Absurd seien Versuche, die Folsom-Veranstalter „auch nur in die Nähe des Rechtsextremismus zu stellen“.

Gewaltverherrlichung, Nazikult und Brutalität gegen die Schwächsten: Dabei hatte doch alles so harmlos angefangen.