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Kleine Wesen, die Zehen abknabbern

Der Regisseur Ingmar Bergman wäre am 14. Juli 100 Jahre alt geworden. Zeit, an ihn zu erinnern. Findet auch die Kollegin Margarethe von Trotta in ihrem jüngsten Film „Auf der Suche nach Ingmar Bergman“

Von Tim Caspar Boehme

Anybody seen a knight pass this way? / I saw him playing chess with Death yesterday“. Mit diesen Worten beginnt der Song „The Seventh Seal“ des Barden Scott Walker, der sich vom gleichnamigen Film („Das siebente Siegel“) aus dem Jahr 1957 rund zwölf Jahre später zu dieser Hommage inspirieren ließ. Ein Popsong, dessen Text verdichtet den Inhalt des Spielfilms wiedergibt, der seinerzeit den internationalen Ruhm seines Schöpfers begründete: Ingmar Bergman.

Dass Popmusiker dieser Tage in ähnlicher Form von Bergman-Filmen angeregt werden, erscheint weniger wahrscheinlich. Und Filmemacher? Ingmar Bergman zählt zu den größten Regisseuren des 20. Jahrhunderts. Margarethe von Trotta etwa nennt den Kollegen ihren Meister, und es war tatsächlich „Das siebente Siegel“, diese Geschichte um einen Ritter, der nach einem Kreuzzug sein Land von der Pest verwüstet vorfindet, dort auf den Tod trifft und mit diesem um sein Leben Schach spielt, ihr erstes richtiges Kinoerlebnis, das in ihr als Studentin den Wunsch weckte, selbst einmal Filmemacherin zu werden.

Von Trotta hat ihrem Vorbild auch ihren jüngsten Dokumentarfilm gewidmet, „Auf der Suche nach Ingmar Bergman“. Ob er, der am 14. Juli 1918 im schwedischen Uppsala geboren wurde, unter den jungen Vertretern immer noch genauso einflussreich ist wie bei von Trottas Generation, bleibt allerdings die Frage. Auch wenn die 1981 geborene Französin Mia Hansen-Løve, eine der Protagonistinnen in von Trottas Film, sich als Anhängerin zu erkennen gibt und sich eigens in Bergmans Haus auf der Insel Fårö begab, seit 1965 dessen Hauptwohnsitz, um dort an einem Drehbuch für einen Film zu arbeiten, der an diesem Ort spielen soll.

Wofür steht er heute?

Und wofür steht Bergmans Kino heute? So richtig erfährt man das bei von Trotta eigentlich nicht. Man erfährt viel dar­über, wie er Filme machte, wie er seine Schauspieler, insbesondere die Schauspielerinnen behandelte, vor allem aber wie er mit seiner eigenen Familie umging oder eben nicht umging, wobei seine Frauen mitunter auch die Darstellerinnen in seinen Filmen waren.

Dass Bergmans Filme so oft vom Verhältnis oder Nichtverhältnis von Frauen und Männern handeln, speist sich, wie sehr vieles in seinem Kino, aus seiner eigenen Lebenserfahrung. Bergman selbst war in diesen Dingen nicht übermäßig verschwiegen. Seine Autobiografie „Laterna Magica“ aus dem Jahr 1987, auf Deutsch vom Alexander Verlag jüngst in durchgesehener Auflage wiederaufgelegt, legt davon beredt Zeugnis ab.

Schon seine Kindheitserfahrungen mit dem strengen Vater, einem lutherischen Pastor, mit der übermäßigen Liebe zu seiner Mutter und den strengen Bestrafungen, die beides für den Jungen mit sich brachte, sollten später Eingang in seine Filme finden. Etwa die Geschichte in „Laterna Magica“ von der Garderobe, in die Bergman als Kind gesperrt wurde und von der man ihm erzählt hatte, dass darin ein kleines Wesen wohne, das bösen Kindern die Zehen abknabbere. Dieselbe Geschichte, Zehengeknabber inklusive, erzählt die Figur Johan Borg (Max von Sydow) dann in „Die Stunde des Wolfs“ (1968).

Vieles davon kann man psychoanalytisch deuten. Der Regisseur Olivier Assayas, noch ein Protagonist in von Trottas Film – und nebenbei der Lebenspartner Hansen-Løves –, spricht ausdrücklich von der Bedeutung der Psychoanalyse für den Film im Allgemeinen und die Rolle des Autobiografischen im Besonderen. Dieser Aspekt wird in Bergmans Schaffen jedoch eher über- als unterbetont, vermutlich weil er selbst eine veritable Steilvorlage für Deutungen dieser Art lieferte. Wobei daran zu erinnern ist, dass das Autobiografische weniger dazu dienen sollte, das Werk zu erklären, sondern hauptsächlich als Information für die Quellen, aus denen sich ein Werk speist, von Interesse ist – und dafür, wie diese dann verarbeitet werden.

Szenen einer Ehe

Unter seinen Zweierhöllen gerät etwas in Vergessenheit: sein Humor

Wie erfrischend ist da die knappe Ironie, mit der der Schriftsteller Jean-Marie Gustav Le Clézio Bergman in seinem Vorwort zu „Laterna Magica“ charakterisiert: „Das große Thema seines Lebens waren wohl die Frauen.“ Hier klingt noch etwas anderes an, das bei Bergman unter dessen zwischenmenschlichen Leidensgeschichten, der sprichwörtlichen „Passion“ (1970) oder den „Szenen einer Ehe“ (1973) als Zweisamkeitshölle in Vergessenheit zu geraten droht: sein Humor. Der sich nicht bloß in albernen Komödien wie „Das Teufelsauge“ (1960) niederschlug, sondern für den sogar Platz war in den finsteren Schwarz­weißbildern des apokalyptisch-existentialistisch gehaltenen „Das siebente Siegel“ – der Titel spielt nicht umsonst auf die biblische Offenbarung des Johannes an.

Von Trotta kommt auf Bergmans Humor irgendwann auch zu sprechen. Doch vor allem wälzt sie so viele Erinnerungen seiner Weggefährten, von der Schauspielerin Liv Ullmann bis zum Sohn Daniel Bergman, der eindrücklich schildert, was für ein schlechter Vater Ingmar Bergman war, dass der Film diesem wortreichen Gedenken nahezu erliegt.

Man würde sich wünschen, dass man Bergman und sein Leben eine Weile einfach in Ruhe lässt, die frühkindlichen Prägungen eben Prägungen sein lässt, und irgendwann wieder probiert, seine Filme als Filme über Allzumenschliches noch einmal ohne das Gewicht des geballten gelebten Lebens in ihnen zu betrachten.

Mein erster Bergman-Film, zugleich mein erstes Kinoerlebnis, war übrigens „Die Zauberflöte“ (1975), eine Verfilmung von Mozarts Oper.

„Auf der Suche nach Ingmar Bergman“. Regie: Margarethe von Trotta. D 2018, 97 Min.

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