verfassungsfeindlich : Die Willkür der Neurobiologen
Die Forderungen der Neurowissenschaften stellen unser Rechtssystem auf den Kopf. Wenn Radikale wie Gerhard Roth fordern, Menschen aufgrund neurobiologischer Diagnosen hinter Schloss und Riegel zu bringen, widerspricht dies grundlegenden straf- und verfassungsrechtlichen Freiheitsgarantien. Dazu gehören etwa die Unschuldsvermutung und das Verbot der Doppelbestrafung. Außerdem muss der Freiheitsentzug in einem Gerichtsurteil beschlossen werden.
Eine Abkehr vom strafrechtlichen Schuldprinzip gibt es aber bereits heute mit der so genannten Sicherheitsverwahrung. Sie betrifft vor allem Wiederholungstäter, die auch nach Verbüßung ihrer regulären Haft weiterhin in Gewahrsam bleiben, wenn ein psychiatrisches Gutachten eine weitere schwere Straftat in Freiheit voraussagt. Dieser „Risikogruppe“ wird der Bürgerstatus aberkannt.
Die Forderungen der Neurowissenschaftler treiben diese Psychiatrisierung des Rechtssystems noch weiter voran. Brisant an dieser Quarantänepolitik sind vor allem zwei Dinge: Bisher war es nur innerhalb des psychiatrischen Systems möglich, den „Wahnsinnigen“ zu internieren, um ihn von seinem Handeln abzuhalten. Wenn diese Entmündigungsmacht der Medizin auf das allgemeine Strafrecht ausgedehnt wird, wird der Ausnahmezustand zur Regel. Zweitens werden der Medizin prophetische Fähigkeiten zugesprochen: Sie nimmt eine Tat vorweg, die noch gar nicht begangen wurde.
Ein uraltes Weltbild lebt wieder auf, das den Menschen auf das Gehirn reduziert. Der Genetifizierung des Körpers folgt nun die Biologisierung von Verhalten und Bewusstsein. Indem sie auf die Norm geistiger Gesundheit verweisen, betätigen sich die Neurowissenschaften als Ordnungsmacht und entwickeln sich immer stärker zu einer Verhaltenswissenschaft, die ein gesellschaftlich erwünschtes Normalitätsprofil erstellt. Entscheidend für die neurowissenschaftlichen Bewusstseinstechnologien ist dabei die klare Unterscheidung, welches Bewusstsein erwünscht und welches unerwünscht ist.
FABIAN KRÖGER