: Verfassungsschutz gehen die V-Leute aus
GEHEIMDIENSTE Mehrere Spitzel aus der rechtsextremen Szene sind aufgeflogen – nun warnen Behörden vor einem Sicherheitsrisiko und suchen nach Informationslecks. Ein Beamter: „Dann aber Feuer frei!“
BERLIN taz | Selten haben die Nerven in den Sicherheitsbehörden so blank gelegen wie in diesen Tagen. Hintergrund ist das Auffliegen mehrerer bezahlter Spitzel des Staates in der rechtsextremen Szene („V-Leute“). In Geheimdienstkreisen wird nun berichtet, dass durch diese Enthüllungen auch andere Quellen nicht mehr sprudelten – und es momentan aussichtslos sei, neue Informanten anzuwerben.
„Wenn uns diese Quellen wegbrechen, tappen wir im Dunkeln“, befürchtet man unter Geheimdienstlern. Es entstehe eine Sicherheitslücke. Mindestens indirekt verantwortlich gemacht für das Auffliegen der V-Leute werden dort die NSU-Untersuchungsausschüsse in Berlin, Erfurt, Dresden und München. Es sei ein „unhaltbarer Zustand“, was momentan alles nach außen dringe, heißt es aus den Kreisen.
Schon vor einigen Wochen kam es in einer nichtöffentlichen Sitzung zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen dem für den Verfassungsschutz zuständigen Beamten im Bundesinnenministerium und den NSU-Ausschussmitgliedern des Bundestags. „Ich finde es unglaublich, in welchem Umfang geheim eingestufte Unterlagen, gleich von wem, ihren Weg in die Öffentlichkeit finden“, sagte der Ministeriumsmann laut Protokoll. Er würde sich wünschen, ein Durchstecher würde mal erwischt, und könne als ehemaliger Staatsanwalt nur raten: „Dann bitte aber mal Feuer frei!“ Die Abgeordneten im Ausschuss wunderten sich. In einem konkreten Fall habe die Information gar nicht aus dem Kreis des Ausschusses kommen können, entgegnete dessen Vorsitzender Sebastian Edathy (SPD) – denn die Abgeordneten hätten zum Zeitpunkt der Veröffentlichung die Akten noch gar nicht gehabt.
In den letzten Tagen hat nun aber eine brisante Aktenlieferung des Thüringer Innenministeriums die Angst unter Geheimdienstlern verstärkt. Das Land hatte, um Transparenz bemüht, 778 Ordner mit Akten an die Geheimschutzstelle des Bundestags geschickt, weitere rund tausend wurden angekündigt. Beinahe alles, was das Land seit der Wende zum Rechtsextremismus sammelte, wird nach Berlin geliefert – und das ungeschwärzt.
Weil dadurch möglicherweise weitere V-Leute anderer Länder und des Bundes sowie deren V-Mann-Führer bekannt werden könnten, ist man außerhalb Thüringens teils massiv verärgert. Unter hochrangigen Sicherheitsbeamten wird nun sogar darüber nachgedacht, das Land vom gemeinsamen Informationsaustausch der Verfassungsschutzämter von Bund und Ländern („Nadis“) abzukoppeln. Thüringen selbst hatte sein Vorgehen in den vergangenen Tagen mehrfach gerechtfertigt und mit der Dimension der NSU-Verbrechen und des staatlichen Versagens begründet. WOLF SCHMIDT