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„Die Daten lösen das Öl ab“

Hamburgs neuer Stadtkurator Dirck Möllmann will in den nächsten zwei Jahren internationale und lokale Künstler*innen einladen, den digitalen Wandel, Fragen von Datensicherheit und Mitbestimmung sowie den Umgang mit natürlichen Ressourcen zu beleuchten

Auf den ersten Blick nur was für die Notdurft: Dixieklo-Kreuzweg in der Hafencity von 2008 Foto: Jens Ressing/dpa

Interview Petra Schellen

taz: Herr Möllmann, was macht ein Stadtkurator?

Dirck Möllmann: Dieses jeweils für zwei Jahre besetzte Amt, das es – bundesweit einzigartig – seit 2014 in Hamburg gibt, wurde erfunden, um Kunst im öffentlichen Raum noch stärker zu fördern. Der Stadtkurator – bewusst weder in einer Behörde noch in der Künstlerszene angesiedelt – ist ein Vermittler, der unabhängige Programme erstellt, an denen Hamburger und internationale Künstler beteiligt sind.

Wie definieren Sie „öffentlichen Raum“?

Zunächst meint das immer einen Außenraum: einen Platz für Versammlungen wie den Rathausmarkt zum Beispiel. Seit der Digitalisierung gilt auch das Internet als öffentlicher Raum, der idealerweise für jeden zugänglich ist, aber auch eigenen Restriktionen und Kontrollen unterliegt. Kunst im öffentlichen Raum findet heute sowohl auf Plätzen und Straßen statt, wo der zufällige Passant plötzlich auf ein Kunstwerk trifft, als auch im virtuell öffentlichen Internet.

Was planen Sie konkret?

Ich habe einerseits internationale Künstler eingeladen; andererseits werden Hamburger Künstler eine wichtige Rolle spielen. Sie werden mit verschiedenen Medien – einer Videowand, einer Performance, einer Skulptur oder einer Applikation an einem Gebäude – temporäre Eingriffe in den öffentlichen Raum tätigen.

Warum haben Sie Ihr Programm „Hamburg Maschine“ genannt?

Es geht um Digitalität. Damit meine ich nicht nur Glasfaser- und WLAN-Netze, sondern auch die sich wandelnde Kommunikationskultur, die unser Leben umwälzt und sich auf die Produktion von Gegenständen, Werten und Kunst auswirkt. Die Frage lautet: Wie gehen wir mit dieser Veränderung um?

Wie formulieren Ihre Künstler diese Frage?

Der spanische, in Den Haag lebende Künstler Manuel Beltrán will zum Beispiel eine Gewerkschaft für digitale Arbeiter gründen und das Bewusstsein dafür schärfen, wie mit unseren persönlichen Daten umgegangen wird. Da man seine Daten heute nicht mehr einfach zurückhalten kann, stellt sich die Frage: Wie kann man mitgestalten, selbst wenn man seine Daten weitergibt? Wie arbeiten andererseits große Firmen mit diesen Big Data? Daten, heißt es, seien der neue Rohstoff; die Periode des Öls sei durch die Periode der Daten abgelöst worden. Diese Debatte ist zwar nicht bahnbrechend neu. Aber davon, dass Künstler sie im öffentlichen Raum führen, erhoffe ich mir neue Einsichten für Hamburgs Stadtgesellschaft.

Ist auch Nachhaltigkeit ein Thema?

Ja, zum Beispiel in der Videosimulation „Western Flag“ des irischen Künstlers John Gerrard. Auf einer großen Videowand wird ein Fahnenmast mit einer großen schwarzen Rauchfahne in Texas zu sehen sein. Diese digitalisierte Landschaft spielt auf die allererste Ölbohrung 1901 in Texas an. Sie begründete den Öl-Boom in den USA und auch unsere Öl verbrennende Indus­trie. Der Künstler thematisiert unseren Umgang mit Naturressourcen und spielt zugleich geschickt mit der digitalen Technik. Denn auf den ersten Blick wirkt das Bild auf dieser Riesenleinwand real. Es ist aber digital simuliert, und zwar in Echtzeit. Das heißt, Tag- und Nachtveränderungen verlaufen genauso, wie sie zeitgleich an diesem Ort in Texas stattfinden. Die Installation ist also auch Sinnbild für den Wandel der Maschinen von der industriellen Ölmaschine zur Datenmaschine.

Wird der über den Rathausmarkt hetzende Passant begreifen, dass diese Leinwand eine Simulation ist?

Auf den ersten Blick vielleicht nicht. Aber irgendwann wird er sich fragen: Warum ist das alles so gleichmäßig? Wie die Kamera diesen Pfahl mit der Rauchwolke umkreist: Das ist eine langsame, angenehme, fast meditative Bewegung. Man wird eingesogen, fragt sich vielleicht, was das ist und kann dann in einer Vermittlungsbox mehr erfahren.

Apropos. Wird es auch ein Vermittlungsprogramm geben?

Ja. Es wird ein Online-Magazin geben, in dem die teilnehmenden Künstler ebenso zu Wort kommen wie Fachleute, die sich mit Digitalität befassen. In einem offenen Forum sollen Interessenten zudem Blog-artig eigene Beiträge verfassen können. Außerdem wird es zu jedem Projekt einen kleinen Folder geben.

Foto: privat

Dirck Möllmann, 54, Kunsthistoriker, ist seit April 2018 Hamburgs Stadtkurator.

Wie groß ist Ihr Radius?

Ich möchte nicht nur im Bezirk Mitte, sondern auch in der Peripherie Kunstprojekte zeigen. Geeignet wäre zum Beispiel eine Arbeit des kanadischen Künstlers Michael Dudeck, der eine Queer Religion erfand. Er hat in seiner künstlerischen Sprache Elemente aus verschiedensten Religionen und mystischen Bewegungen zusammengebracht und einen digitalen Tempel für diese neue Religion gebaut. Denn er findet, dass so etwas in der Queer-Community fehlt, obwohl das Bedürfnis da ist. Darüber hinaus möchte ich ihn einladen, entsprechende Performances und „Rituale“ durchzuführen. Diese Arbeit möchte ich nicht auf dem Rathausmarkt zeigen, sondern an Orten in der Peripherie, die dafür interessant sind, Wandsbek etwa oder Eimsbüttel. Das tue ich aber nur, wenn die kommunalpolitischen Gremien es wollen.

Sie haben 200.000 Euro zur Verfügung. Genug?

Nein. Um meine geplanten sechs Projekte umzusetzen, werde ich den Betrag durch Akquise mindestens verdoppeln müssen.

Sie planen auch den Aufbau einer „Modellinstitution“ für Kunst im öffentlichen Raum.

Ja. Die Idee stammt von einer Expertenrunde und zielt darauf, die Förderpraxis für Kunst im öffentlichen Raum zu modernisieren. Letztlich geht es darum, die Arbeit des Stadtkurators zu verstetigen. Ich habe während der letzten Jahre in Graz an solch einem Institut für Kunst im öffentlichen Raum gearbeitet. Es war ein fast autonomes Institut mit eigener Programmhoheit. Ein Hamburger Modellinstitut könnte ein Archiv für die Geschichte der Hamburger Kunst im öffentlichen Raum beherbergen sowie Workshops und Diskussionen über Kunst im öffentlichen Raum veranstalten. Bislang ist das nur ein Vorschlag, aber dafür den Boden zu bereiten; ist Teil meines Programms.

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