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„Theatertexte sind Gebrauchstexte“

Die Autorentheatertage am Deutschen Theater enden mit vier Uraufführungen neuer Stücke. Dazu gehört „In Stanniolpapier“ von Björn Deigner, der Monolog einer Prostituierten

Björn Deigner Foto: Arno Declair

Interview Tom Mustroph

taz: Herr Deigner, Sie gehen mal als Musiker durch den Bühneneingang ins Deutsche Theater, wie zuletzt für den „Tod eines Handlungsreisenden“. Jetzt werden Sie durchs Portal schreiten als einer der Autoren, deren Stücke uraufgeführt werden. Betritt der Autor Björn SC Deigner das Haus anders als der Theatermusiker Björn SC Deigner und noch anders der Hörspielmacher Deigner?

Björn Deigner: Ich würde sagen, ich bin im Kern derselbe. Es gibt eine Form von Auseinandersetzung, die ich ähnlich führen würde, egal ob ich ein Hörspiel oder Musik mache oder schreibe. Aber es ist eine andere Position, die man bekleidet. Als Musiker ist man viel näher an einem Regieteam, an einer Produktion dran als ein Autor. Man hat dabei eine so schöne Unschärfenrelation: Man lernt die Schauspieler kennen, man hat mit einigen auch eine sehr enge Beziehung, aber man bleibt auch außen vor und ist sehr nahe beim Regisseur und Bühnenbildner. Als Autor ist man ein Satellit, eine ganz andere Form von Instanz. Ich finde das auch in Ordnung so. Ich möchte als Autor einer Produktion einen Freiraum zugestehen, der mir auch zugestanden wird. Mir guckt niemand auf die Finger, wenn ich schreibe. Genauso muss ein Text, wenn er fertig ist, dem standhalten, was mit ihm gemacht wird. Dann komme ich gern dazu und schaue mir das an.

Wenn dann mit dem Text etwas gemacht wird, was der Autor nicht erwartet hat, vielleicht sogar etwas, was gegen die eigene Intention geht – will da der Autor vielleicht nicht doch enger in den Produktions- und Entscheidungsprozess einbezogen werden?

Wenn sich das im Rahmen dessen vollzieht, was der Text vorschlägt, ist das völlig o. k. Ich würde dann den Text selbst befragen: Warum lässt er das zu? Theatertexte sind Gebrauchstexte. Mit denen wird etwas gemacht, und dem muss man sich stellen.

„In Stanniolpapier“ ist im Grunde der Monolog einer Frau, die als junges Mädchen missbraucht wurde, dann als Prostituierte arbeitete, dabei, entgegen vielerlei Klischees sogar so etwas wie Glück und vor allem das Gefühl von Unabhängigkeit erfuhr und in ihrem Berufsweg als Prostituierte so ziemlich alle Gesellschaftsschichten abschritt. Wie stießen Sie auf dieses Thema?

Ich habe zum damaligen Zeitpunkt Musik am DT gemacht, für den „Tod eines Handlungsreisenden“. Die damalige Regieassistentin Anna Berndt erzählte mir von einer Gesprächspartnerin mit einer ungewöhnlichen Biografie. Ich eröffnete ihr dann, dass ich eigentlich von der Autorschaft herkomme und habe ihr vorgeschlagen, dass sie der Frau sagt, dass ich Autor sei und das nächste Gespräch mit ihr einfach aufnimmt.

Sie waren nicht anwesend, haben aber den Mitschnitt erhalten?

Genau. Das waren anderthalb bis zwei Stunden sehr interessantes Material. Es war auf der einen Seite sehr konkret, mit vielen Episoden. Auf der anderen Seite war es aber auch widersprüchlich. Und es gab viele Momente, die überhaupt nicht auserzählt waren. Man konnte es als Grundlage nehmen und dabei in der künstlerischen Arbeit auch selber gestalten. In zwei, drei Wochen habe ich diesen Text dann herausgeschrieben.

Sie haben während dieses Prozesses Ihre Protagonistin nie getroffen?

Nein. Die Situation war so für mich als Autor auch ganz dankbar. Als Mann mit Mitte 30 hätte ich mich an das Thema nie herangetraut, weil ich immer das Gefühl gehabt hätte, da überschreite ich eine Grenze. Genauso wollte ich nicht Voyeur werden, in dem Sinne: Sie soll uns mehr erzählen, mir reicht der Stoff nicht. Die Grundlage war schon voller Potential und hat bei mir sofort die Frage evoziert, wie geht man damit um.

Björn SC Deigner, 1983 geboren, lebt in Berlin. Er war keine 20, da galt er als Jungstar am Dramatikerhimmel. Dann folgte das Studium der Angewandten Theaterwissenschaft in Gießen. Deigner wurde Theatermusiker. Nun kehrt er mit dem Monolog einer Prostituierten wieder als Autor zurück auf die Bühne.

Und wie geht man damit um, mit Prostitution?

Das war zu der Zeit latent in meinem Freundeskreis auch ein Thema. Ist es etwas, was wir aushalten müssen, als ältestes Gewerbe der Welt? Oder ist es etwas, zu dem wir sagen: Das gehört nicht mehr zu uns, mit all seinen Folgen, nämlich nicht nur dem 600 Euro-Escort für einen Abend, sondern auch der 20 Euro-Flatrate. Egal mit wem ich sprach, keiner wusste, wie man damit umgeht. Und das sind dann Fragen, an denen Theater virulent wird, eben wenn keine Gewissheiten mehr da sind.

Die Gewissheiten können allerdings schnell wieder zurückkehren. Dann zum Beispiel, wenn einem Mann – gerade auf der #MeToo-Erregungskurve – das Recht abgesprochen wird, der rechte Autor für das Erzählen einer solchen Frauenbiografie zu sein.

Ich glaube, wenn man sich mit seiner künstlerischen Arbeit in der Mitte von einer solchen Debatte befindet, dann liegt man, egal ob es einem recht ist oder nicht, gar nicht so falsch. Ich will nicht sagen, dass ich eine so souveräne Position, eine so gute Argumentation im Kasten hätte, dass ich behaupten könnte: ‚Lasst die alle mal kommen.‘ Ich finde aber, im Auge des Sturms zu sein, gehört dazu.

„In Stanniolpapier“ 22. und 23. Juni, je 18 + 22 Uhr, Deutsches Theater

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