: Oberkörperfreies Bolzen
Ein Wummern im Höllentempo: Die Hard-Ons aus Australien geben im Cassiopeia den Punk mit einem Surf-Gefühl
Von Robert Mießner
Australische Themenwochen, Teil 2: Mitte dieses Monats konnte in dieser Zeitung über ein durchweg fulminantes Berlinkonzert der Bluespunk-Band Scientists aus Perth berichtet werden; diesen Donnerstag dann gastierte das Popcore-Quartett Hard-Ons aus Sydney im Cassiopeia. Ihr Drummer Murray Ruse trug dabei ein T-Shirt der französischen Indieband Not Scientists. Ein Statement? Hier die Gelehrten, dort die Ständer, um mal einen sehr naheliegenden Scherz zu bemühen.
Doch der Reihe nach: Der Weg zum Punk im Cassiopeia auf dem RAW-Gelände führt eine gefährliche Metalltreppe hinauf und dann eine noch gefährlichere Steintreppe hinab in die Unterwelt, welche sich in dem Club als diskret illuminierter schwarzer Schlauch entpuppt.
Das Vorprogramm bestreitet das Berliner Punkcover-Quartett Bad Brians; die Veranstalter hatten in der Einladung extra gebeten, die Schreibweise zu beachten. Und so gibt es also nicht die Washingtoner Hardcore-Reggae-Band Bad Brains zu hören – gepasst hätten sie –, sondern genau an die Originale angelehnte Versionen diverser Punkklassiker wie „Nazi Punks Fuck Off“ und „California über Alles“ der Dead Kennedys, „Pretty Vacant“ von den Sex Pistols und „12XU“ von Wire. Dieses Lied, eine Verwünschungshymne, wurde mit einer seinem Zartgefühl angemessenen Choreografie zur Aufführung gebracht: Der Sänger machte einen Fußtritt ins Imaginäre, Gitarrist und Bassist vollzogen mit ihren Instrumenten adäquate Ausfallbewegungen.
Auch der weitere Abend sollte unter den Zeichen von Akrobatik und Geschichtsstunde verlaufen. Als die Hard-Ons die hinter einer Siebziger-Jahre-Diskokugel gelegene Bühne betreten, haben sie fürs Erste mit dem Sound zu kämpfen. Noch einmal: Hier ist die Rede von einem Punkkonzert, das geht in Ordnung. Sie waren als die „australischen Ramones“ angekündigt worden, ein so verständliches wie irreführendes Etikett. Tatsächlich spielen die 1981 gegründeten Hard-Ons in einem gelegentlichen Höllentempo, doch können ihre Songs auch schon mal an der Fünfminutengrenze kratzen. Ja, da sind Gitarrensoli, fast schon im Surfrock-Stil, die durch das Bolzen und Wummern der Rhythmusgruppe schlingern. Das australische Beat Magazine beschrieb einmal den Sound der Hard-Ons treffend als „Motörhead trifft die Beach Boys“.
Eine gewisse Maskulinität kann ihnen nicht abgesprochen werden, doch ist es eine freundliche. Showtime! Gitarrist Peter „Blackie“ Black, er ist es, der die Kommunikation mit dem Publikum übernimmt, fragt an einer Stelle, was denn das Tolle am Rock’n’ Roll sei. „Bier“, tönt es aus den vorderen Reihen. „Alles“, gibt Black zurück. Als er sein Instrument hinter dem Nacken gehalten spielt, sind längst die T-Shirts der Musiker gefallen. Einer macht da nicht mit: Sänger Keish de Silva, ein beängstigend schmaler Man in Black, behält sein Oberhemd an, obwohl auch er über die Bühne turnt.
Bassist Ray Ahn obliegt es, den Zugabenteil zu moderieren. Er weist darauf hin, wo die Musiker ihre Wurzeln haben: de Silva stammt aus Sri Lanka, Schlagzeuger Murray Ruse aus Polen, Ahn selbst ist Koreaner: Als aus dem Publikum die koreanische Nationalhymne gewünscht wird, meint er: „Da schickt ein kleines asiatisches Land eure Fußballer nach Hause, und schon seid ihr verwirrt.“
Verwirrend ist noch etwas anderes: Die Hard-Ons haben von ihren 11 Alben, vom Debüt „Smell My Finger“ (1986) bis zu „Peel Me Like a Egg“ (2014), 250.000 Exemplare verkauft, sie hatten 17 Nummer-eins-Hits in den australischen Indiecharts und gelten als so erfolgreich wie ihre Landsleute von den Go-Betweens und Nick Cave & the Bad Seeds. Doch treten sie nicht in der Wuhlheide oder der Max-Schmeling-Halle auf, und ausverkauft ist ihr Konzert im Cassiopeia auch nicht. Das eine hat Charme, das andere lässt Platz zum Tanzen, das geradezu gesittet ausfällt. Einer der Fans übrigens trägt ein T-Shirt der Flegelrocker Cosmic Psychos. Mit denen wären die australischen Themenwochen fast komplett. Wer lädt sie ein?
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