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Alles wirft Schatten

Form folgt auf Form, Geschichte lebt im Zitat in Ulla von Brandenburgs Ausstellung „Der Regung Regel“ auf der Mathildenhöhe in Darmstadt

Möbel aus einem Kinder­zimmer. Gegenstände von Ulla von Brandenburg und aus dem städtischen Museum Darmstadt Foto: Cem Yucetas

Von Katharina J. Cichosch

In Räume, die ausschauen, als würden sie ohne stetige Reinigung dem ehrwürdigen Staub eines Jahrhunderts anheimfallen, ist ein Hauch Dynamik eingezogen: Auf dem Salonflügel liegt die Brille und steht die Vase aus Pappmaché, im Esszimmer sind vier krumme Tellerchen nebst Besteck und Tassen mit welliger Unterlage eingedeckt, und an den Wänden prangen handbemalte Papiertapeten, nur eben lose festgesteckt. In einer Ecke mit blau-rot floralem Muster steht eine prächtige Papier-Monstera, im realen Leben eine der wohl beliebtesten Zimmerpflanzen, die niemals wachsen und gedeihen wird.

In historische Museumsräume nicht nur einzugreifen, sondern sie selbst zu konstruieren: Diesem besonderen Reiz konnte Ulla von Brandenburg auf der Darmstädter Mathildenhöhe voll nachgeben. Eine komplette Wohnung, vom großen Salon bis zur kleinen Schlafkammer, hat die 1974 geborene Künstlerin mit Original-Möbeln der berühmten Jugendstil-Sammlung und eigenen Objekten ausstaffiert. Bisweilen erinnert das Ergebnis unter dem Titel „Der Regung Regel“ an einen surrealistischen Film-Set – selbst die Wäsche im historischen Bettkasten ist eigentlich nur aufgemalt. Und das Bild geht auf, fast ein bisschen zu gut: In die musealen Räumlichkeiten ist eine neue Form der Ewigkeit eingezogen, die silberne Uhr an der Wand wird immer sieben vor zwölf anzeigen.

Nicht so leicht, Form und Inhalt voneinander zu trennen, wenn es sich wie bei von Brandenburg um eine Künstlerin handelt, deren Arbeitsweise das Zitat ist – nicht nur in Form des tatsächlichen Motivs, das sie zitiert, sondern der gesamten Mechanik, die jenes Bild erst produziert (oder zumindest imitieren hilft). Quilts beispielsweise, die gesteppten Geheimnisträger aus dem alten Nordamerika, machte sich die Künstlerin immer wieder zu eigen – neben Thea­terbühnen, Kostümen, Scherenschnitt und anderer überlieferter Kulturtechnik, die Räume und Menschen in jeweils andere zu transformieren vermag. Und weil die Frage nach Inszenierung und Repräsentation ja Mark und Bein zeitgenössischer Kunstproduktion und ihrer zugehörigen Katalogtexte darstellt, heißt es auch im Begleitfilm, dass es hier nun um Inszenierung und Identitäten gehe. So weit, so gut. Aber gilt Andeutung schon als gleichwertig zum Inhalt, den sie andeutet?

Bleiben wir bei der Form: Ulla von Brandenburgs Arbeiten baden sich, allen historischen Andeutungen zum Trotz, nicht in Nostalgie, bewegen sich aber doch jenseits jeden zeitgenössischen Cools. Kräftige, bunte Farben gehören dazu. Für die Mathildenhöhe hat die Künstlerin eine eigene Palette kreiert; Grau und Grün, Flieder, Violett, Blau, Lachs, Rost und Rot verknüpfen lose die getrennten Ausstellungsbereiche der historischen Salonräume oben mit acht großzügig präsentierten Videoarbeiten im Untergeschoss.

Ebendort schweben Zacken, Rosenknospen und Goldlamé im Stoffkarussell am betrachtenden Auge vorbei; Stoff um Stoff bahnt sich den Weg zur ruhig betrachtenden Kamera. Von Brandenburg hat ihrem ersten Film mit hypnotischen Weisen den passenden Soundtrack zur Seite gestellt; tonale Silbengesänge, wie sie eine Mutter ihrem Kind am Bette singen würde, wenn Mütter in Personalunion ebenso zum Besänftigen wie zum Verunsichern angehalten wären.

Verkleiden, darstellen, einrichten: Von Brandenburg Videos zeigen ein permanentes Einüben der Form

Verkleiden, darstellen, einrichten: Von Brandenburgs Videos zeigen ein permanentes Einüben der Form. Tänzer üben sich in Körperspannung und Fließendem, eine Familienrunde übt sich im sozialen Zusammensein, scheinbar unbelebte Objekte üben sich in Bewegung. Menschen und Räume werden, so farbenfroh die produzierten Bilder ausfallen mögen, einem kühnen, immer außen bleibenden Blick unterzogen.

Was hat’s zu bedeuten? Die Künstlerin legt selbst einiges Vokabular vor, Texte ihrer „Singspiele“, die sie einigen Filmen angedichtet hat, liegen aus. Kryptisch sind einige Passagen und prätentiöser andere, manche beides zugleich: „Verstehen und nicht verstanden sein, das ist hier gefragt.“ Von Brandenburgs Referenzsysteme scheinen für den Außenblick vielleicht ähnlich durchdringbar wie für Laien das politische Geflecht in Brüssel: Das Verstehen, darauf deutet dieser Satz hin, kann ja ohnehin nur als Prozess begriffen werden, findet also immerzu statt, in reiner Gegenwart. Zwischendurch wirft die Künstlerin dem Ausstellungspublikum symbolträchtige Zirkelschlüsse hin: Schattenfiguren, die im Filmbild plötzlich selbst zur Schattentheater-Darbietung ansetzen.

Form folgt auf Form, und was von einer Vermittlungsebene in die andere überführt werden könnte, geht irgendwo dazwischen auf einer bunten, analog-psychedelischen Reise verlustig. Mit zunehmender Besuchszeit zwischen dröhnenden und oszillierenden Farbtonwelten setzt eine weltenfremde Entrückung ein, die wohl als Ergebnis einer gelungenen Inszenierung gelten darf. Alles wirft Schatten bei von Brandenburg, die ­Videoprojektionen unten und oben die Papier-Monstera.

Mathildenhöhe Darmstadt, bis 16. September

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