: Da mitmischen, wo entschieden wird
Über selbstbewusste junge Abgeordnete im Bundestag und Erstwähler, taktisches Rot-Grün wählen und eine Große Koalition: Die Eimsbüttler Direktkandidaten von SPD und GAL, Niels Annen und Till Steffen, im taz-Streitgespräch zur Bundestagswahl
Moderation:Sven-Michael Veit
taz: Jung, männlich, ehrgeizig – ist das Programm genug für ein Bundestagsmandat?
Niels Annen: Mit Programm hat das nur insoweit zu tun, als ich es wichtig finde, dass auch jüngere Abgeordnete in den Bundestag kommen. Bei vielen wichtigen Themen wie Erhalt des Sozialstaates sind auch Sichtweisen gefordert, die die Lebensrealität unserer Generation mit einbringt. Das ist wichtig für den Mix, aber mit 32 gehört man sicher eher zu den Ausnahmen.
Till Steffen: Bei den Grünen sind Leute unseres Alters keine Ausnahme, auch das unterscheidet uns von der SPD und den anderen Parteien. In der GAL-Bürgerschaftsfraktion sind drei von 17 noch jünger als ich.
Und im Bundestag sitzen Sie dann auf der Hinterbank und müssen den Grünschnabel halten. Ist das ein Politikertraum?
Annen: So pessimistisch bin ich nicht. Ich bin seit zwei Jahren im Parteivorstand der Bundes-SPD, war Bundesvorsitzender der Jusos und kenne das Berliner Geschäft ganz gut. Ich werde mich da schon durchsetzen.
Steffen: Viele Themen werden eben im Bundestag entschieden werden, und wir im Landesparlament können das nur nachvollziehen. Deshalb will ich da mitmachen, wo die wichtigen Entscheidungen fallen. Zum Beispiel beim Sozialstaat oder beim ökologischen Umbau: Da kann man nur Einfluss nehmen, wenn man in Berlin mitredet.
Annen: Das sehe ich auch so. Bei der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, die zu meinen Schwerpunkten im Bundestag gehören werden, geht es um wichtige Weichenstellungen. Das geht nur in Berlin. Das gilt auch für die Gesundheitspolitik, die mir ebenfalls am Herzen liegt. Ein Thema übrigens, bei dem sehr deutlich wird, was am 18. September zur Wahl steht: CDU-Kopfpauschale oder rot-grüne Bürgerversicherung.
Steffen: Ich halte eine Anhebung des Spitzensteuersatzes für notwendig, ohne dabei die Personengesellschaften mehr zu belasten. Dafür brauchen wir dort eine getrennte Besteuerung von Privat- und Firmeneinkünften. Wer da mitreden will, muss dies im Bundestag tun, und das will ich. Ebenso bei zwei weiteren Themen, die mir wichtig sind: ein richtiges Antidiskriminierungsgesetz und die ökologische Verkehrswende.
Sie beide kandidieren gegeneinander, große Differenzen sind aber nicht zu erkennen. Wie sollen WählerInnen sich da entscheiden?
Annen: Natürlich will ich beide Stimmen für die SPD, ist doch klar. Aber es ist ja nicht ungewöhnlich, taktisch zu wählen: Die Erststimme für mich und die Zweitstimme für die Grünen. Es ist wichtig, dass möglichst viele Rot-Grüne aus Hamburg in den Bundestag kommen. Das ist eine große Chance: Sechs rote Direktmandate und zwei grüne Mandate über die Landesliste macht acht Hamburger Stimmen für eine rot-grüne Reformregierung.
Steffen: So einfach ist das nicht. Die Entscheidung des Bundeskanzlers für Neuwahlen war auch ein Infragestellen von Rot-Grün. Und die SPD schmückt sich im Wahlkampf auch noch mit grünen Federn: Die sagen, nur mit der SPD geht der Atomausstieg weiter. Ohne die Grünen aber hätte es nie einen Atomausstieg gegeben, und jetzt tut Schröder so, als ob er den erfunden hätten. Das gilt auch für die Landwirtschaft. Da hat zunächst ein SPD-Minister Bauernpolitik gemacht, seit dem Ressortwechsel macht die grüne Ministerin Renate Künast Verbraucherschutzpolitik.
Ich bin skeptisch, ob die SPD Rot-Grün ernsthaft will. Am Ende, siehe Schleswig-Holstein, machen die doch eine Große Koalition des Stillstands mit der CDU. Wer einem SPD-Kandidaten die Erststimme gibt, wählt nicht automatisch grüne oder auch nur rot-grüne Politik. Dafür muss man echtes Grün wählen.
Ist es Ihr Albtraum, Herr Annen, Abgeordneter in einer Großen Koalition zu sein?
Annen: Ohne die SPD hätte es doch keine Mehrheit für einen Atomausstieg gegeben und auch kein Erneuerbare-Energien-Gesetz. Die intensive Fortsetzung dieser existenziell wichtigen Politik wird nur mit Rot-Grün gehen. Und ich weiß gar nicht, wie eine Große Koalition gehen sollte. Wie soll denn ein Kompromiss zwischen Kopfpauschale und Bürgerversicherung aussehen?
Steffen: Entscheidend ist: Schließt du aus, für eine Kanzlerin Merkel zu stimmen?
Annen: Ich werde mit aller Macht dafür kämpfen, dass eine Große Koalition nicht zustande kommt.
Steffen: Intern vielleicht, aber dann bei der Entscheidung im Bundestag ...
Annen: Was heißt intern? Ihr Grünen macht doch in zwei Hamburger Bezirken Koalitionen mit der CDU ...
Steffen: Bezirkliche Bündnisse sind doch was völlig anderes als eine Bundesregierung ...
Wenn es wieder eine rot-grüne sein sollte, würde dann die Wirtschaftspolitik zum Knackpunkt? Würde die SPD für Arbeitsplätze jedes Biotop opfern, und die Grünen müssten Kröten schlucken statt bewahren?
Annen: Bisschen sehr pauschal ...
Bei Airbus in Hamburg war und ist das so.
Annen: Auch die SPD hat es sich nicht leicht gemacht mit der Airbus-Entscheidung. Die Grünen haben sie mitgetragen, und es ist ein Erfolg. Das haben wir gerade vorigen Samstag gesehen, als der A380 hier war. Man muss das in jedem Fall abwägen, denn ökonomische und ökologische Interessen müssen im Einklang miteinander stehen.
Steffen: Der Unterschied ist, dass die SPD bestehende Strukturen schützt, auch wenn die nicht zukunftsfähig sind. Der Kanzler hat sich vor die Autoindustrie gestellt, weil die keine Rußpartikelfilter wollte. Jetzt sind Franzosen und Japaner mit ihren Filtern auf dem deutschen Markt erfolgreich – eine kurzsichtige und innovationshemmende Politik. Wir Grünen wollen eine moderne, zukunftsfähige und ökologische Wirtschaft, wie in der Windkraft, die Arbeitsplätze schafft.
Annen: Es geht nicht immer alles so einfach, wie manche es gern hätten. Eben deshalb ist es wichtig, dass Rot und Grün gemeinsam weiter regieren können.
Hier sitzt Praktikantin Anne Grüneberg mit am Tisch. Sie haben beide zwei Sätze, um diese 20-jährige Erstwählerin zu überzeugen, Sie zu wählen.
Annen: Ich werde mich für einen sozial gerechten Staat einsetzen. Und dafür müssen selbstbewusste Politikerinnen und Politiker in den Bundestag, die dafür sorgen, dass Entscheidungen dort fallen, wo sie hingehören, und nicht in intransparenten Grauzonen.
Steffen: Die Grünen sind die richtige Wahl, weil wir keine falschen Versprechungen machen, die richtigen Zukunftsfragen stellen und dabei auch Konflikte nicht scheuen. Ich selbst bin ein guter Kandidat, weil ich den Wahlkreis Eimsbüttel seit langem sehr gut kenne und den im Bundestag deshalb gut vertreten kann.
Grüneberg: Geht es konkreter, ohne dass ich die Parteiprogramme lesen muss?
Annen: In zwei Sätzen ist das schwierig. Aber ein Beispiel: Ich bin für die Bürgerversicherung, in der die Krankenversicherung solidarisch finanziert wird, nach den wirtschaftlichen Möglichkeiten jedes und jeder Einzelnen. Dagegen steht die Kopfpauschale der CDU, nach der ein Busfahrer genauso viel zahlen muss wie ein Manager: Klare Alternative.
Steffen: Ein Beispiel von mir ist die Verschärfung des Hamburger Polizeigesetzes. Die führte vorige Woche bei der Suche nach angeblichen Terroristen zum Ausnahmezustand in der Stadt. Bundespolitisch ist dieses Thema – Sicherheit oder Freiheitsrechte – noch brisanter. Und da will ich als Rechtspolitiker dazu beitragen, dass Polizei und Geheimdienste nicht mehr Kompetenzen auf Vorrat bekommen, als sie wirklich brauchen.
Wen wählst Du jetzt, Anne?
Grüneberg: Ich denke noch zwei Wochen drüber nach.