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Filmische Blicke auf die See

Das Zeughauskino bietet ab Samstag einen kleinen Abriss der Attraktion, die die Meere um Europa auf das Kino ausgeübt haben und noch immer ausüben

Von Fabian Tietke

Mit Schmackes schwimmt die Gruppe Taucher mit samt dem Filmequipment gen Meerestiefe. Die fackelartigen Leuchten in den Händen der Taucher geben dem Tauchgang einen leichten Hauch von Unterwasserballett. Jacques-Yves Cousteau und Louis Malle reihen in ihren Dokumentarfilm „Le Monde du silence“ („Die Welt des Schweigens“) eine spektakuläre Aufnahme an die andere.

Der Film schwelgt im Reichtum der Welt unter der Meeresoberfläche, den spektakulären Farben, lässt die Zuschauer am Leben an Bord von Cousteaus Forschungsschiff Calypso teilhaben, vor allem aber weiß er noch über 60 Jahre nach seiner Entstehung mitzureißen in seiner Begeisterung.

Mit „Le Monde du silence“ eröffnet das Zeughauskino am kommenden Wochenende eine Filmreihe, mit der das Kino eine gleichnamige Ausstellung des Deutschen Historischen Museums begleitet. Wie so oft gelingt es dem Zeughauskino mit seiner Reihe die Filme davor zu retten, bloße publikumswirksame Illustration zur Ausstellung zu sein; vielmehr ergänzt das Kino die Ausstellung um einen kleinen Abriss der Attraktion, die die Meere um Europa auf das Kino ausgeübt haben und ausüben.

Fünf Jahre vor Cousteaus Film drehte der österreichische Meeresforscher Hans Hass seinen Film „Abenteuer im Roten Meer“. Hass begann bereits in den frühen 1940er Jahren Unterwasserfilme zu drehen. 1942 drehte Hass in Zusammenarbeit mit der Ufa „Pirsch unter Wasser“.

Abteilungsleiter der Ufa für Kurzfilme zur Biologie war damals Ulrich Karl Traugott Schulz. In einem Kurzfilmprogramm, das von der Filmwissenschaftlerin Inga Selck eingeführt wird, läuft am 29.Juni Schulz’ „Das Männerschiff“, das Fischer bei der Arbeit begleitet. Der Film entstand 1952 in der Bundesrepublik kurz bevor Schulz Ende der 1950er Jahre in die DDR ins Studio für populärwissenschaftliche Filme der DEFA wechselte.

Unter den Spielfilmen ragt Paul Carpitas „Le Rendez-vous des quais“ („Verabredung am Hafen“) als Wiederentdeckung hervor: Carpitas Film verbindet in seinem Film Spielszenen und dokumentarische Aufnahmen eines Streiks der Hafenarbeiter von Marseille zu einem beeindruckenden Film, dessen ungesüßter Realismus filmische Traditionen des Frankreichs der frühen 1930er Jahre quasi im Alleingang in die Nachkriegszeit rettete. Nach der Fertigstellung wurde Carpitas Film verboten, konnte erst Ende der 1980er Jahre aufgeführt werden und ist heute ein historischer Referenzpunkt für den filmischen Blick von Marseille aufs Mittelmeer (dem sich seit fünf Jahren an den Drehorten von Carpitas Film auch das Museum der Zivilisationen Europas und des Mittelmeers widmet).

Einzig „La Pirogue“ zeigt das Meer nicht als Raum der Möglichkeiten

Eine weitere Wiederentdeckung ist Charles Frends „The Cruel Sea“ über eine britische Corvette während des Atlantikkrieges im Zweiten Weltkrieg. Für die unerfahrene Besatzung der „Compass Rose“ besteht der eigentliche Kampf zunächst die Unbill des Meeres zu ertragen, bevor sie sinnvoll in Konvois eingesetzt werden kann, um deutsche U-Boote zu bekämpfen.

Eine Schiffsbesatzung ganz anderer Art steht im Zentrum von „Billy Budd“, dem letzten Roman von Hermann Melville, den Peter Ustinov 1962 als Film adaptierte. In einer unglücklichen Begegnung wird der beinahe übermenschlich herzliche William Budd von einem Handelsschiff auf eine Fregatte gepresst, die Ende des 18. Jahrhunderts während des englischen Seekriegs mit Frankreich über die Meere segelt. Leider entscheidet sich Ustinov dafür, die Handlung nahezu komplett auf das Schiff zu reduzieren und das umgebende Meer weitgehend zu ignorieren, aber dennoch ist der Film eine interessante Seitenlinie zu den Piratenfilmen, die damals in Mode waren.

Nur einmal springt die Reihe mit Moussa Tourés „La Pirogue“ in die Gegenwart: mit einer Pirogge, einem Fischerboot, soll ein junger Mann aus der Umgebung von Dakar eine Gruppe Menschen zu den kanarischen Inseln und damit nach Europa bringen. Obwohl das Boot dafür nicht geeignet ist, lässt er sich auf die Reise ein. Touré zeigt in seinem Film das Meer vollkommen anders als es in den europäischen Produktionen erscheint: nicht als Raum der Möglichkeiten, den man voller Neugier erschließen kann, sondern als lebensgefährliche Barriere zwischen der unmöglichen Lebensrealität und den Verheißungen des anderen Ufers.

Filmreihe „Europa und das Meer“: 16.–30. 6., Zeughauskino, Unter den Linden 2, www.dhm.de/zeughauskino

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