: Reimen ist doch kinderleicht!
Worte mit allen Sinnen erfassen: Einer der originellsten Wege, die Sprachkompetenz von Kindern zu fördern, ist es, sie dichten zu lassen
VON VERENA MÖRATH
Alltäglich ist es nicht – und darum sind die Kinder umso gespannter: Acht Vier- bis Fünfjährige der Kindertagesstätte „Prenzlberger Spielmäuse“ erwarten heute einen besonderen Gast, der mit ihnen lustige Reime und Sprüche über Tiere finden will. Helena, die Erzieherin der Vorschulgruppe, ist mindestens genauso neugierig wie ihre Zöglinge. Noch kann sie sich nicht vorstellen, wie Sylvia Krupicka diese Kinder, die noch nicht das Alphabet aufsagen können, zu Poeten machen kann.
Aber in der Kunst, Kinder und Jugendliche in die Welt der Buchstaben einzuführen und ihre Sprachkompetenz spielerisch zu fördern, hat die Literaturvermittlerin Sylvia Krupicka hinreichend Erfahrung. Seit vielen Jahren ist sie spezialisiert auf Workshops mit Sprach- und Buchstabenspielen und auf die Vermittlung lyrischer Grundformen. Sie bietet Lehrern und Erziehern Weiterbildungen an, leitet Schreibwerkstätten und gibt Theaterkurse. „Mein Konzept beruht darauf, dass Worte, Reime und Gedichte mit allen Sinnen erfasst werden können“, beschreibt Sylvia Krupicka. „Deshalb wird in meinen Werkstätten ertastet, gestaltet, gemalt, gesungen und getanzt.“
Heute arbeitet sie mit dem Buch „Eins Zwei Drei Tier“ von Nadja Budde. Auf dem Tisch liegt für jedes Kind ein dreiteiliges Puzzle bereit, das um ein fehlendes Stück ergänzt werden muss, damit eine Buchseite vollständig wird. Gefunden wird dieses durch Reimen. Da ist beispielsweise der Wolf: Er ist groß, mittel und klein – und welches Tier reimt sich nun auf klein …? Das Schwein auf einem Puzzlestück in der Mitte des Tisches ist schnell gefunden und das erste Puzzle komplett. Die nächste Buchseite zeigt nun drei Schweine, ihre Haarpracht ist glatt, lockig, kraus … „Maus, Maus, die Maus ist es“, rufen alle durcheinander. Jedes Kind bringt sich ein, reimt munter vor sich hin. Bald sind alle 15 Buchseiten fertig gepuzzelt.
Nun werden die Bilder der Tiere, die reimend gefunden wurden, auf dem Boden ausgelegt. Reihum zieht jedes Kind eine Karte und ahmt ein Tier nach, bis jeder Schlaumeier weiß, welches Tier da krabbelt. Zum Abschluss und zur Entspannung – Konzentration und Lust lassen langsam nach – wird noch gesungen. Am Ende sind alle zufrieden. Die Sprachvermittlerin, „weil alle Kinder eine hohe Sprachkompetenz gezeigt haben und schon sehr kreativ mit Worten umgehen können“. Die Erzieherin, weil sie „mal im Hintergrund bleiben, nur zuschauen durfte“ – und dazu noch viele Anregungen für ihre eigene Arbeit bekommen hat. Die Kinder wiederum, weil es „so lustig“ und natürlich „pipieinfach“ war.
Anders und anfangs schwieriger als die Arbeit mit Kids aus dem Prenzlauer Berg fand Sylvia Krupicka ihr Engagement in Kreuzberg für den Stadtkunstverein „Urban Dialogues“ im Rahmen der „Buchstabenoffensive“: Ein Programm zur Sprach- und Schreib-Lese-Förderung, das in Zusammenarbeit mit dem Quartiersmanagement Wrangelkiez entwickelt und ganz speziell auf die Bedürfnisse von Kindern mit Migrationshintergrund zugeschnitten wurde. Ziel ist es, Kindern, die selten außerschulische Bildungsangebote wahrnehmen können, die gleichen Chancen zu geben, ihre sprachlichen und kreativen Potenziale zu entfalten, wie Kindern mit bildungsnahem Hintergrund. Deshalb sind alle Angebote der „Buchstabenoffensive“ – Workshops für Kitas und Schulen, Lesungen und Bibliothek – kostenlos. Allein im letzten Jahr besuchten 1.000 Kinder insgesamt 45 Vormittagsangebote.
Für eine elfköpfige Vorschulgruppe der Kita „Cuvrystraße 26a“ hat Sylvia Krupicka einen Workshop mit dem Buch „Die Königin der Farben“ von Jutta Bauer ausgewählt. Nicht Sprachwitz steht im Vordergrund, sondern das Lernen und Benennen von Farben. Gleichzeitig sollen zudem die unterschiedlichen Eigenschaften der Farben spielerisch erlebt werden. Dieser Workshop ist für die Erzieherin Güley Caglioglu neu. Alle anderen Veranstaltungen der „Buchstabenoffensive“ für Vorschulkinder kennt sie schon. „Die Kinder finden hier eine tolle Anregung, sie werden ernst genommen, müssen sich konzentrieren, mitdenken und kombinieren. Wir Erzieher profitieren auch sehr und versuchen das Gelernte in der Kita zu wiederholen“, begründet sie ihre vielen Besuche. Ab und an muss Güley Caglioglu heute für Sylvia Krupicka übersetzen, denn ein fünfjähriges Mädchen in ihrer Gruppe spricht kaum Deutsch. Einige Elemente des Workshops kann sie deshalb nicht mitmachen, so wie das Spiel „Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist blau …“ Aber bei anderen Aufgaben ist sie Feuer und Flamme: Wenn die Kinder mit roten, gelben oder blauen Fäden ausgerüstet herumtanzen und Feuer, Meer oder Sonne nachahmen. Die Kleine malt auch mit, damit das Land der Königin der Farben wieder bunt wird – es war zwischenzeitlich völlig grau geworden.
Anderthalb Stunden verfliegen so im Nu: Jedes Kind hat sich artikuliert – auch wenn es nicht immer mit Worten war – und gezeigt, was es drauf hat. Güley Caglioglu plant mit der Leiterin von „Urban Dialogues“, Sybille Kraut-Eppich, schon ihren nächsten Besuch. „Einmal zu kommen reicht nicht aus“, sagt sie, „die Kinder müssen ihr Wissen vertiefen.“ Bleibt zu hoffen, dass die einzigartigen Angebote der „Buchstabenoffensive“ im Kiez weiterhin so reges Interesse finden – und ebenso wichtig: Dass die Finanzierung des Projekts auch über das Jahr 2005 hinaus gesichert werden kann.