schlagloch: Die letzte linke Schlacht
Nur Schwarze dürfen über Schwarze schreiben? Leute, die das fordern, machen das Sichtbarmachen und die Überwindung von Vorurteilen noch schwerer
Ilija
Trojanow
ist Schriftsteller,
Weltensammler
und Autor zahlreicher
Bücher, darunter:
„Macht und Widerstand“
(S. Fischer Verlag). 2017
erschien, ebenfalls bei
S. Fischer, „Nach der
Flucht“.
Die Schlagloch-
Vorschau:
20. 6. Charlotte Wiedemann
27. 6. Jagoda Marinić
3. 7. Hilal Sezgin
10. 7. Mathias Greffrath
17. 7. Georg Seeßlen
24. 7. Nora Bossong
Was ist rassistischer: die Agrarsubventionen der EU oder eine Opernaufführung des Theaters in Bremen? Das ist eine Provokation, klar, aber nicht völlig aus der Luft gegriffen. Während nämlich das deutschsprachige Feuilleton sich immer wieder ereifert über blackfacing (Bemalen des Gesichts mit schwarzer Farbe, zuletzt geschehen in Bremen) oder die Besetzung von „schwarzen“ Figuren durch „weiße“ Schauspieler, ist es eher still geworden um den dauerhaften Skandal der Subventionen oder des massenhaften land grabbing. Wir Deutschen nehmen ca. 5,5 Millionen Hektar im Ausland in Anspruch, um unseren Bedarf an Agrarprodukten zu decken. Wie problematisch das ist, ergibt sich aus einer einfachen Umkehrung: Wie wären die Reaktionen, wenn große Teile Oberbayerns überwiegend Nahrung für den Kongo produzieren würden?
Nun ist jede Rassismusdiskussion komplex, allein schon, weil „Rasse“ eine reine Konstruktion, der Begriff an sich also kontaminiert ist und daher möglichst nicht verwendet werden sollte. Zudem sind oft jene, die anderen Rassismus vorwerfen, selbst nicht in der Lage, über die Hautfarbe hinauszusehen. Wer Menschen auf ihre Pigmentierung reduziert, steht unabhängig von seinen Absichten in einer bestimmten Wahrnehmungs- und Benennungstradition. Wenn also jemand fordert, dass die Figur eines „Schwarzen“ aus Brooklyn unbedingt von einem anderen „Schwarzen“ gespielt wird, dann stellt sich die Frage: Was ist, wenn der oder die hiesige „Schwarze“ aus Namibia oder Äthiopien stammt, also von der kulturellen Prägung her nichts, aber auch gar nichts gemein hat mit der Figur aus einem US-amerikanischen Ghetto? Oder wenn er oder sie Kind afrikanischer Diplomaten ist? Wäre nicht die Besetzung mit einem Deutschtürken aus Kreuzberg angesichts der sozialen Parallelität sinnvoller?
Es ist zudem problematisch, wenn sich Individuen zu Gralshütern der nichtrassistischen Sensibilität aufschwingen. Ich erinnere mich an eine Diskussion beim Internationalen Literaturfest in Berlin, als eine junge Wissenschaftlerin behauptete, Sklaverei sei Folge von Rassismus, und der aus Somalia stammende Autor Nuruddin Farah vergeblich versuchte, diese Geschichtsklitterung, die in der Folge natürlich zu dem Rundumschlag führte, alle Weißen seien essenziell rassistisch, mit Fakten und Argumenten zu widerlegen. Die Frau versteifte sich auf ihre antirassistische Kompetenz, arrogierte sich eine diskursive Machtposition, sodass kein Diskurs mehr möglich war.
Von Nuruddin Farah weiß ich, dass er spürt, wie Menschen ihm begegnen, also quasi einen sechsten Sinn für verstecke Vorurteile und Überheblichkeiten hat. Der Schriftsteller Teju Cole, ein in Brooklyn lebender Nigerianer, erzählte mir einmal, am meisten habe ihn verletzt, als er in New York mehrfach auf der Straße von der Polizei zur Untersuchung angehalten worden sei, dem sogenannten stop & frisk. Solche Diskriminierung sei klares Indiz eines systematischen Rassismus.
Nichts gegen einen selbstkritischen Blick auf das eigene Verhalten und die eigene Sprache. Wenn aber künstlerische Verbote ausgesprochen werden (zum Beispiel „Weiße dürfen nicht über Schwarze schreiben“), verselbstständigt sich ein sektiererischer Diskurs, der mit den relevanten Ungerechtigkeiten der realen Verhältnisse wenig zu tun hat. Gerade die gegenseitige Beschäftigung miteinander ist ein Weg, um eingefahrene Vorurteile zu überwinden. Auch wenn Fehler gemacht werden: Die Tatsache, dass sich die deutschsprachigen Bühnen zuletzt diesem Themenkomplex so ausgiebig gewidmet haben, ist grundsätzlich ein Gewinn. Keiner von uns ist Hüter der reinen Sprache, die vielen Spuren, die Hierarchie und Herrschaft in unserem Denken und Reden hinterlassen hat, sind uns allen eingeschrieben. Gerade hier gilt: Wer ohne Sünde ist, soll den ersten Stein werfen.
Es muss daher möglich sein, dass die dänische Künstlerin Madame Nielsen (die vor einigen Jahren ihre angeborene Männlichkeit spektakulär zu Grabe getragen hat) sich als schwarze Madonna verkleidet und eine alternative Realität der Versklavung der „Weißen“ durch die „Schwarzen“ auf die Bühne bringt („White Nigger/Black Madonna“; als grobe Provokation, um fest gefügte Sichtweisen aufzubrechen. Wenn aber in Dänemark ein solcher Shitstorm ausbricht, dass die Aufführung gefährdet ist, wenn also a priori etwas grundsätzlich abgelehnt wird, ohne abzuwarten, ob das Experiment nicht eine sinnvolle Diskussion in Gang bringt, haben wir es mit Zensur zu tun.
Einerseits hysterische Reaktionen, andererseits abgeklärtes Dulden. Ich vermute, die große Erregung angesichts vermeintlichen kulturellen Fehlverhaltens hat viel mit der geradezu pathologischen Schwäche der Linken zu tun. Die Linke hat (fast) alle Schlachten verloren, die neoliberale Ökonomisierung der Welt, mit all ihren brutalen Ungerechtigkeiten, ist allumfassend, überall werden Formen der Solidarität abgebaut und neue nationalistische Fronten errichtet. Es bleiben also nur noch die Kulturkämpfe, nur in der Kunst kann die Linke sich noch behaupten.
Besonders eklatant ist diese Entwicklung in den USA. Social-Media-Aktivismus hat zum Beispiel dazu geführt, dass die Sitcom „Roseanne“ abgesetzt wurde, nachdem die Hauptdarstellerin Roseanne Barr einen rassistischen Tweet von sich gegeben hat. Gegen die Oligarchisierung Trump’scher Prägung kann Empörung dieser Form hingegen nichts ausrichten. Also twittert man die Rassisten zum Schweigen, manchmal aber ohne genau hinzusehen oder nachzudenken (im Falle Madame Nielsens erfolgten die Überreaktionen noch vor der Premiere). In den Künsten ist wenigstens noch etwas Selbstbestätigung und Wohlbehagen zu holen. An der rassistischen strukturellen Gewalt gegenüber Afrika ändert das natürlich nichts. Und die ist trotz ihrer mörderischen Auswirkung bedenklich in den Hintergrund gerückt.
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