: „Dieses Klischee kotzt mich an“
QUEER Der Jackwerth Verlag, ein gedrucktes Homo-Imperium, ist seit diesem Jahr fest in lesbischer Hand: Die neuen Verlegerinnen heißen Gudrun Fertig und Manuela Kay. Ein Gespräch über spezielle Medien, Outing und Neugierde
■ Manuela Kay: geboren 1964 in Berlin. Mitautorin und Produzentin diverser Filme zum Thema lesbische Sexualität und Porno. Von 1996 bis 2005 Chefredakteurin des queeren Berliner Stadtmagazins Siegessäule. Seit 2003 Chefredakteurin von L-Mag.
■ Gudrun Fertig: geboren 1969 in Regensburg. Sie studierte zunächst Volkswirtschaft, wechselte dann aber das Metier und wurde Journalistin. Bis 2009 war sie Redakteurin von L-Mag und wurde schließlich Online-Chefredakteurin im Jackwerth Verlag.
INTERVIEW CIGDEM AKYOL UND GABY SOHL
sonntaz: Frau Kay, Frau Fertig – seit kurzem sind Sie das weltweit erste und einzige lesbische Geschäftsführerinnenduo eines schwul-lesbischen Magazinverlags. Wie kommt es, dass die geschäftstüchtigen schwulen Männer das größte gedruckte Homo-Imperium ausgerechnet zwei Frauen anvertrauen?
Gudrun Fertig: Was heißt anvertrauen? Das war ein knallhartes Bieterverfahren – und wir haben gewonnen.
Manuela Kay: Es gab nicht so viele Mitbewerber für den Kauf der Titel des Jackwerth Verlags. Wir beide wollten die Magazine und die damit verbundenen Arbeitsplätze retten, aus Überzeugung. Dieser Verlag ist eine extrem wichtige Errungenschaft der schwul-lesbischen Bewegung. Du & ich ist das älteste noch existierende schwule Magazin in Deutschland, L-Mag ist die einzige überregionale deutsche Lesbenzeitschrift, und Siegessäule ist das größte queere Stadtmagazin Europas.
Für alle, die Ihre Magazine noch nie gesehen haben: Könnten wir sagen, Du & ich ist eine Art Brigitte für schwule Hausmänner? Und L-Mag eine Emma für Lesben?
Manuela Kay: Wow! Wenn wir die Auflage der Brigitte hätten!
Gudrun Fertig: Aber Du & ich landet am Kiosk immer noch in der Pornoecke und leider nicht neben der Brigitte.
In der Pornoecke lag L-Mag auch ganz lange, oder? Neben den St. Pauli Nachrichten?
Manuela Kay: Heute stehen wir immerhin zwischen Psychologie heute und Schöner wohnen. Mit der Emma verglichen zu werden, stört mich nicht, wenn damit eine politische, feministische Zeitschrift gemeint ist.
Gudrun Fertig: Wir sind hier nicht bei Nacht und Nebel die neuen Geschäftsführerinnen geworden. Der Background stimmt einfach. Ich bin Einzelhandelskauffrau und Diplom-Volkswirtin, Manuela kennt die Szene seit Jahrzehnten. Und wir beide arbeiten seit Jahren zusammen – in diesem Verlag.
Manuela Kay: Wir sind übrigens kein Paar, um dieser Frage zuvorzukommen.
Gudrun Fertig: Wir sind uns in den zentralen Grundfragen einig. Wir wollen journalistisch unabhängig arbeiten, unsere Leute vernünftig bezahlen, und jede von uns kann jederzeit ein Veto einlegen, falls ihr etwas nicht passt.
Wie werden Ihre MitarbeiterInnen denn bezahlt?
Manuela Kay: Wir sagen immer: Beschwere dich nicht, das ist taz-Niveau.
Also wenig Geld und viel Freiheit?
Manuela Kay: Das war immer so. Strukturell bringen wir beide jetzt was Ungewöhnliches in die Szene. Dort ist man es gewohnt, dass Schwule ihre eigenen Projekte haben und Lesben dann bei schwul-lesbischen Dingen mitmeinen. Nun gibt es zur Abwechslung mal etwas, wo Lesben auch was für Schwule tun. Der vorherige Verleger der Siegessäule war einer der wenigen schwulen Männer, die keine Angst davor hatten, einer Lesbe einen wichtigen Posten mit Entscheidungsbefugnis zu geben. Die Queer-Bewegung hat natürlich auch vieles verändert – mehr Toleranz geschaffen.
Gudrun Fertig: Manuela war ab 1996 Chefredakteurin der Siegessäule und ist seit 9 Jahren Chefredakteurin von L-Mag. Ich habe als Volontärin bei der Siegessäule angefangen und war später Online-Chefredakteurin aller Webseiten des Verlags. Diese Medien zu erhalten, ist für uns beide eine echte Herzensangelegenheit.
Im Verlagsgeschäft rutscht allerdings gerade allen Printmedien das Herz in die Hose – überall werden RedakteurInnen entlassen, Zeitungen eingestellt, der Blattumfang reduziert. Sitzen Sie nicht auf einem Kamikaze-Sofa?
Gudrun Fertig: Im Gegenteil. Ich muss sagen: Ich find’s geil, Unternehmerin zu sein! Wir haben so viele Alleinstellungsmerkmale – das ist verlegerisch eine tolle Geschichte. Ich glaube, dass richtig gut gemachte Hefte eine echte Chance haben.
Manuela Kay: Natürlich gibt’s bei einigen schwulen Männern auch Vorbehalte gegen uns. „Die beiden Lesben ruinieren den Laden in sechs Monaten!“ Das soll jemand gesagt haben, aber man sagt uns so was leider nicht ins Gesicht. Fakt ist, die wenigen Männer, die Interesse hatten, den Verlag zu übernehmen, die hätten L-Mag, Du & ich und die schwul-lesbische Siegessäule in dieser Form nicht weitergeführt.
Warum nicht?
Manuela Kay: Tja. Vielen Schwulen sind Lesben total egal.
Ist das Ihr Ernst?
Manuela Kay: Doch. Leider. Ich bin, seit ich fünfzehn bin, in der schwul-lesbischen Szene unterwegs. Ich weiß, wovon ich rede. Mein halbes journalistisches Leben habe ich damit verbracht, mich in schwule Projekte „reinzudrängen“. Massiv.
Warum mussten Sie so massiv drängen?
Manuela Kay: Es ist nicht so, dass Schwule auf mich gewartet hätten. Aber am Ende gab es immer eine große Offenheit. Pauschal gesagt: Es ist das gleiche Problem, das Männer generell mit Frauen haben. Und viele schwule Männer pflegen in ihrem alltäglichen Leben noch viel weniger Umgang mit Frauen. Man mag es kaum glauben, aber sie sind noch ungeübter darin, Frauen zu verstehen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen, als Heteromänner. Und viele Lesben wollen im Alltag oft auch wenig Kontakt mit Männern. Schwule und Lesben haben eigentlich kaum noch miteinander zu tun – sie leben in zwei komplett verschiedenen Welten. Und das bedeutet, da treffen zwei unbekannte Spezies aufeinander. Da muss man sich erst entdecken.
Ungeübt? Neue Spezies? Schwule und Lesben gibt es, seit es Menschen gibt. Geht es nicht eher um Unwilligkeit?
Manuela Kay: Du musst dir, wie in der Heterowelt auch, die richtigen Bündnispartner suchen, mit denen du politisch und visionär die gleichen Ziele verfolgen kannst. Bei den Lesben herrscht untereinander ja auch nicht eitel Sonnenschein. Im Gegenteil. Innerhalb von Minderheiten gibt es die Neigung, sich sehr kritisch zu betrachten und Konflikte hart nach innen auszutragen.
Verachten viele Lesben die Schwulen genauso wie umgekehrt?
Gudrun Fertig: Ich würde nicht von Verachtung sprechen. Was ich mir wünsche, ist ein bisschen mehr Neugierde aufeinander. Das kann sehr produktiv sein! Und genau das wollen wir in unserem neuen Verlag umsetzen.
L-Mag wird von etlichen Lesben vorgeworfen, zu sehr das harte Butch-Frauenbild zu bedienen.
Manuela Kay: Blödsinn, totaler Blödsinn. Butch-Sein ist gesellschaftlich völlig unsichtbar, und wir geben auch Butch-Frauen in L-Mag einen Platz, das stimmt. Dieser Streit taucht immer wieder auf: Die Hälfte der L-Mag-Leserinnen beschwert sich, dass wir zu viele kurzhaarige, männliche Frauen zeigen, die andere Hälfte meckert über zu viele langhaarige und tussige Frauen.
Gudrun Fertig: Dahinter steckt aber auch ein Wahrnehmungsproblem. Ich hab unsere Fotos mal, mit Blick auf die Haarlänge der Frauen, am Telefon durchgezählt – mit einer wütenden Leserin. Das Ergebnis war: Wir haben sehr viele unterschiedliche Frauenbilder im Heft.
Manuela Kay: Schwule sind da etwas lockerer, aber bei Du & ich und Siegessäule wird uns auch vorgeworfen, zu viele Männer mit Waschbrettbauch zu zeigen – oder zu wenige. Das hat mit der Unsicherheit in der eigenen Homosexualität zu tun. Man glaubt gar nicht, wie homophob Schwule und Lesben mitunter sind – wie sehr sie manchmal andere dafür hassen, wie offen und fröhlich sie schwul, lesbisch oder transsexuell sind. Das ist ein klassisches Problem von Minderheiten: Es fehlt ihnen die Souveränität, die Unterschiedlichkeiten auszuhalten.
Ist das nicht schlicht ein ziemlich pubertäres Verhalten?
Manuela Kay: Nur weil jemand schwul oder lesbisch ist, heißt das noch lange nicht, automatisch erwachsener zu sein als andere. Um wirklich erwachsen zu werden, brauchen wir die Freiheit, uns sexuell ausprobieren zu können, komplett.
Eigentlich sind Sie also Lobby-Journalistinnen für die schwul-lesbische Szene.
Gudrun Fertig: Weil wir eine bestimmte Klientel bedienen? Das tun Anglerzeitschriften auch. Wichtig ist, wie gut die Zeitschriften gemacht sind. Lobby-Journalismus – das ist Quatsch.
Manuela Kay: In einem Fußballmagazin schreibe ich doch auch nicht: Leute, spielt lieber Golf!
Gudrun Fertig: Und selbstverständlich will ich mich engagieren. Lesbische Frauen werden oft völlig ignoriert oder einfach nicht ernst genommen. Ich selbst habe aber erst nach einiger Zeit der Zusammenarbeit mit Schwulen verstanden, wie sehr das Schwulsein abgewertet wird in unserer Gesellschaft, wie weh das tut. Die Diskriminierungsformen sind eben unterschiedlich.
Manuela Kay: In einer Zeitschrift, wo „Magazin für Lesben“ draufsteht, werd ich natürlich nicht behaupten, lesbisch sein ist eine Krankheit. Wir machen eine komplette Welt sichtbar, die sonst im Dunkeln bleibt – die medial unsichtbar ist. LGBT ist eine Lebensweise und eine Haltung.
LGBT ist die englische Abkürzung für „Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender“. Diese superkorrekten Abkürzungen klingen extrem unsexy – dabei geht es doch dauernd um Sex, oder?
Manuela Kay: Eben nicht.
Gudrun Fertig: Natürlich auch.
Manuela Kay, Sie erinnern vom ersten Eindruck ein wenig an Gertrude Stein – im Motorrad-Lesben-Outfit.
Manuela Kay: Gertrude? Oh, das ist hoch gehängt. Na, jedenfalls hat sie immer versucht, Leute zusammenzubringen. Das versuche ich auf meine Art auch. Ich hoffe nur, ich werd nie so dick …
Madame Stein war im Sinnlich-Sexuellen eher aristokratisch zurückhaltend – Sie dagegen drehen auch Pornos für Lesben.
Manuela Kay: Vor 18, 20 Jahren habe ich mich mit der damals noch sehr seltenen Darstellung von lesbischem Sex im Film befasst und selbst einige Beispiele dafür gedreht, ja. Zurückhaltung fand ich noch nie das geeignete Mittel, wenn es um Sichtbarmachung von Sexualität geht.
■ Die Special Media SDL: ist ein auf Lesben und Schwulen ausgerichteter Zeitschriften- und Onlineverlag mit Sitz in Berlin-Kreuzberg. Die bekanntesten Publikationen sind Du & ich als schwules und L-Mag als lesbisches Magazin und das kostenlose queere Berliner Stadtmagazin Siegessäule. Zum Verlag gehört auch Queer Travel, ein Reiseportal und Magazin für Schwule und Lesben.
■ Der Jackwerth Verlag: war Deutschlands größtes Verlagshaus für schwul-lesbische Medien und wurde von zwei Männern geleitet, Reiner Jackwerth und Wolfgang Hartmann. Der Jackwerth Verlag verkaufte seine Zeitschriften, Magazine sowie alle Websites und stellte am 30. April 2012 den Geschäftsbetrieb ein. Seit dem 1. Mai 2012 erscheinen die Publikationen in der neu gegründeten Special Medien SDL GmbH, mit Manuela Kay und Gudrun Fertig als Geschäftsführerinnen.
Warum bringen Sie dann nicht mehr Erotik in L-Mag?
Manuela Kay: Wir haben auch erotische Bilder und nackte Körper im Blatt, Porno natürlich nicht, da halten wir uns an die Regeln der Medien. Wir wollen vor allem die Lebensfreude der Lesben zeigen. Lesben gelten ja als verknöchert und geizig. Dieses Klischee der Lesbe in ihrer Allwetterjacke, die mit herunterhängenden Mundwinkeln an ihrem Kräutertee nuckelt, das kotzt mich an.
Und als Gegengift brauchen Lesben Pornos?
Manuela Kay: Pornos können ein Weg zu mehr Freiheit sein. Darum beneide ich Schwule unendlich: Die schämen sich nicht für ihre Geilheit! Die haben Sex auf den dreckigsten Toiletten, mit völlig unbekannten Männern …
Es gibt das Klischee: Die Schwulen ficken alles, was sich bewegt, und die Lesben lesen sich sogar im Darkroom noch Gedichte vor.
Manuela Kay: Ich habe damals Pornos für Lesben gemacht, weil ich wirklich fest davon überzeugt bin, dass wir nicht richtig erwachsen werden können, wenn wir uns sexuell nicht ausprobieren dürfen. Wenn ich gar nicht weiß, was alles möglich ist, kann ich auch nicht wirklich wissen, was ich will. In dieser Beziehung habe ich unglaublich viel von den Schwulen gelernt.
Gudrun Fertig: Lesbischsein geht weit über das Thema Sex hinaus. Als Lesbe habe ich einen anderen Blick auf die Gesellschaft und meistens Diskriminierungserfahrungen. Ich habe immer wieder ein neues Coming-out, je nachdem, wen ich wo kennen lerne. Ich habe einen anderen Blick auf weibliche Sexualität, auf Gender-Rollen, auf andere diskriminierte Minderheiten. Das prägt. In Zeiten von Diversity kann Lesbischsein ein ungeheures Potenzial sein, das einen spannenden Blick auf die Gesellschaft ermöglicht. Und: Lesben und Schwule, die ihre Sexualität nicht offen leben, sind einfach nicht so leistungsfähig, wie sie sein könnten. Da gibt’s reichlich Studien. Menschen, die etwas zu verbergen haben, können nicht ihre volle Leistung bringen. Die unterdrückte Energie bremst die ganze Person.
Manuela Kay: Unsere Politik hier im Haus ist: Wir laufen Leuten nicht hinterher, die im Schrank leben wollen. Die reden sowieso nicht mit uns – wenn wir anrufen, ist das für sie der größte Horror überhaupt.
Gudrun Fertig: Es ist so schade – fast immer wenn Frauen in Männerdomänen vordringen, sind sehr viele Lesben beteiligt, die aber nicht dazu stehen, lesbisch zu sein. Sie hätten den DFB bei der Frauen-Fußballweltmeisterschaft erleben müssen: ein überwiegend lesbisches Fußballteam, das schneller vor unseren Fragen weggerannt ist als vor ihren Gegnerinnen auf dem Platz …
Moment – wollen Sie jetzt eine ganze Sportdisziplin der Frauen zwangsouten?
Manuela Kay: Für alle LeserInnen der taz: Es gibt kein Zwangsouting. Es gibt nur Outing – das machen andere. Und es gibt das Coming-out – das mache ich selber. Von Biolek bis Hape Kerkeling haben alle homosexuellen Promis gesagt, das Beste, was ihnen passiert sei, war ihr Outing. Sie können jetzt endlich aufatmen und müssen sich nicht mehr verstecken.
Sie finden, dass die Medien outen dürfen – gegen den erklärten Willen der Betroffenen? JournalistInnen haben das Recht, die Privatsphäre zu verletzen?
Manuela Kay: Das Recht habe ich, ja.
Interessant: Das sagt die Bild-Zeitung auch.
Manuela Kay: Auf welchem Niveau darüber geschrieben wird, ist eine andere Frage. Aus Rechten und Pflichten ergibt sich nicht gleich Geschmacklosigkeit. Aber Personen des öffentlichen Lebens müssen sich an dem messen lassen, was sie sagen und tun.
PolitikerInnen zum Beispiel haben nicht das Recht auf ein geschütztes Privatleben – nur weil sie PolitikerInnen sind?
Manuela Kay: Erstens: Gerade PolitikerInnen werden immer an ihrer Integrität gemessen. Wer Showstar oder Politiker werden will, weiß, dass gewisse Sachen dann nicht mehr privat sind. Das ist der Preis, den sie zahlen müssen. Ich kann eine Person nicht ernst nehmen, die nicht zu ihrer Homosexualität steht. Das ist einfach nicht integer. Punkt. Zweitens: Wir haben noch nie jemanden geoutet, der oder die das nicht wollte.
■ Cigdem Akyol, 33, ist taz-Redakteurin im Gesellschaftsressort ■ Gaby Sohl, 52, ist taz-Autorin und Assistentin der Chefredaktion. Beide gehören zur Zielgruppe von „Special Media“