Morgane Llanque Ausgehen und rumstehen: Wir sind die Volkörnerund lassen die AfD marginal und reliktartig aussehen
Am Ende verkleistert der Nieselregen meine Haut zu einem Pappmaschee aus Sonnencreme, Schweiß und Glitzer. Der Glitzer stammt von dem freundlichen Mann in dem Regenbogen-Pierrot-Kostüm. Wir sind beim Tanzen schon mehrfach mit unseren Extremitäten ins Gesicht des anderen geraten, aber das macht nichts. Bei dem Rave des Sonntags darf man ruhig auch ein bisschen stinken, kleben und blaue Flecken haben.
Die „AfD Wegbassen: Reclaim Club Culture against Nazis“-Gegendemo auf der Straße des 17. Juni ist die schönste und wichtigste Party seit Langem. Während aus den riesigen Boxen des lilafarbenen Wagens neben mir eine Mischung aus Acid und Goa wummert, frage ich mich: Wie klingt eigentlich das musikalische Aufgebot der AfD? Gott sei Dank gibt es Social Media. Freund und Kollege Julian postet: „Gerade an der AfD-Kundgebung vorbeigeradelt. Da läuft irgendein weinerlich-patriotischer Schlagerpop. Hier spielt u. a. Just Emma und später Luca Musto. Clubkultur: AFD 1:0.“
Später schickt er mir noch ein Bild von einem schwarzweißen Banner: „Wir sind die Volkörner.“ Diese ganze Veranstaltung hat etwas sehr Paradoxes. Der Stolz darauf, nicht stolz darauf zu sein, dass man Deutscher ist, fühlt sich mal wieder verdächtig nach einer anderen Facette des Patriotismus an. Am Ende sind wir eben vor allem happy, Berliner*innen zu sein. Man feiert Freiheit, Vielfalt und den Rhythmus der Hauptstadt, aber doch noch viel mehr sich selbst.
Zu erschöpft, um sich zu schämen, wanke ich mit den Regentropfen nach Hause. Meine Knochen sind noch schwer vom gestrigen Ausflug ins Bi Nuu. Hier gab es Samstagabend ebenfalls feinste Musik für die Vielfalt: Oriental Electro mit arabischem Live-Gesang und Balkan-Rhythmen. Gemacht wird die fantasievolle Mucke vom Duo SiiN: Rafi aus Palästina und Uros aus Serbien zwingen das Publikum, seine übliche Nur-der-Bass-zählt-Routine beim Tanzen aufzugeben. Das ist so herrlich an Oriental Electro.
Die gewohnte Trance ist zwar da, paart sich aber mit der Möglichkeit, seine sonst im Technotanz so herabgewürdigten Kurven mit aller Kraft in Szene zu setzen. Highlight: auch mal im Reigen mit anderen Menschen tanzen. Die einsame Androgynie des klassischen Rave, die zugegebenermaßen auch sehr befreiend sein kann, wird im Oriental Electro wohltuend aufgelöst.
Vor dem Tanz im Bi Nuu war ich noch in der Camera Work Galerie in der Kantstraße. Erster Tag der neuen Ausstellung: „Made in Berlin.“ Geplagt vom eigenen Narzissmus bin ich neugierig: Die Ausstellung stellt das Berlin, in dem ich aufgewachsen bin, neben das Berlin der 60er, 70er und 80er, das wiederum meine Mutter kennt, die mich begleitet, damit ich nichts Dummes schreibe. Hier hängen auf Bildern von Ellen von Unwerth, Olaf Heine und Anton Corbijn bunt durcheinander Berliner Galionsfiguren: Harald Juhnke neben Cameron Carpenter, Nina Hagen neben Anna Seghers und David Bowie neben Wolf Biermann.
Die Ausstellung feiert Berlins ständiges Aufbegehren und seine gepflegte Trägheit zugleich, die Sexyness der Unfertigkeit, in der Architektur und in den Menschen, aber eben auch die Obsession mit sich selbst und dem Anderssein. Unbedingt angucken, wer sich mit dem inneren Lokalpatrioten-Schweinehund auseinandersetzen will. Meiner kommt zu dem Schluss, dass ich gern in einer Stadt voller Narzissten lebe, solange die Narzissten Kraft genug aufbringen, die AfD immer wieder so langweilig, marginal und reliktartig aussehen zu lassen wie an diesen Sonntag.
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