Die Musik als Wille und Vorstellung: Lonski & Classen wählen für sich die Melancholie und The Assassinations ganz unbedingt die Sixties

Die Bezugnahme auf Klima und Jahreszeiten in Musikkritiken ist eigentlich streng verboten. Aber wenn man zuerst aus dem Fenster guckt und dann aufs Cover von „Climbing On Branches“, dem zweiten Album von Lonski & Classen, dann sieht man überall dieselben nackten, blätterlosen Bäume. Der Herbst ist da, und er setzt sich auch fort in der Musik, die sich hinter den dürren Ästen versteckt: Genüsslich baden Lukas Lonski und Felix Classen in Melancholie. Die beiden Jugendfreunde, die vor fast einem Jahrzehnt aus dem Rheinland nach Berlin gekommen waren, bebildern diesen selbst bestimmten Trübsinn mit fragilen Gebilden aus Gitarren, Bass und Schlagzeug, die dann im Computer noch einmal geloopt und verfremdet werden zu komischem Geklapper und seltsamen Geräuschen. Selten nur, so in „The Punisher“, zieht das Tempo einmal an, wird die Stimmung ein paar Grade aufgeräumter, ja rühren sich sogar klatschende Hände zum Rhythmus.

Das Ergebnis erinnert, natürlich vor allem wegen der zwar eingängigen, aber doch eher bedrückten Melodien, bisweilen an Radiohead und ähnliche Großmeister der Melancholie. Aber die Leistung von Lonski & Classen ist es, dass sie begriffen haben, dass die Melancholie eine rein artifizielle Emotion ist, weil man sich seinen Zustand, im Gegensatz zur Traurigkeit, selber aussuchen kann. Dieses Wissen spiegelt sich in Songs zwischen Folk und Electronica, die ganz bewusst die Grenzen zwischen Wahrhaftigkeit und Künstlichkeit verwischen, indem sie sich bei den großen Gesten des Breitwandpop bedienen, diese dann aber bisweilen mit rührend amateurhaften Mitteln umsetzen und viel Platz lassen zwischen den Posen. Nach einem bereits gefeierten Debüt, das den tip dazu veranlasst hatte, sie in eine Liste der 20 besten Berliner Bands aufzunehmen, haben sie diese Diskrepanz auf „Climbing On Branches“ noch einmal nachdrücklicher herausgearbeitet.

Auch The Assassinations arbeiten sich ab an einer Diskrepanz: An der zwischen dem Heute und dem Gestern. Denn zwar ist Ghazi Barakat, Berliner mit palästinensischen Wurzeln, dazu verdammt, im Heute zu leben. Musikalisch allerdings hält er sich lieber in den Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts auf. Am allerliebsten in einer dort beheimateten Garage. Das war schon mit seiner alten Band The Golden Showers so und auch unter seinem Solo-Pseudonym Boy From Brazil.

Für The Assassinations hat sich Barakat, den Problemen im Nahen Osten und dem Bandnamen zum Trotz, mit der gebürtigen Israelin Becky Ofek zusammengetan und für „Future Blasts From The Past“ eine ganze Horde durchaus prominenter Musikantenkollegen ins Kreuzberger Polytrash-Studio geladen. Aber der Einfluss von Fred Bigot (Electronicat), Tim Gane (Stereolab), Nicole Morrier (Electrocute) und Taylor Savvy hält sich in Grenzen. Deren elektronischer Hintergrund ist kaum zu hören, dafür aber Barakats Leidenschaft für Garagen-Rock, seltsame Horror-Filmsoundtracks und obskuren Avantgarde-Pop – Hauptsache, das stammt alles aus den Sixties. THOMAS WINKLER

■ Lonski & Classen: „Climbing On Branches“ (Matrosenblau/Indigo), Release Party heute Ballhaus Ost

■ The Assassinations: „Future Blasts From The Past“ (Hashishin/Cargo), live (mit Juliette Lewis) 4. 11. Kesselhaus