: Ungutes schleicht sich an
Bäume, Gräser, Tiere, Pflanzen, wissen die schon, was passiert? In seinem ersten langen Spielfilm „Hagazussa“ zelebriert der Regisseur Lukas Feigelfeld die Magie des Über-Sinnlichen und erzählt von Hexenverfolgung
Von Tim Caspar Boehme
Eine ältere Frau mit ihrer jungen Tochter in den Alpen. Es ist Winter, überall liegt tiefer Schnee. Auf dem Weg wird es langsam dunkel, der Wald, den sie durchqueren, stumpft zu bleiernem Grau ab. Auch die Hütte, die sie schließlich erreichen, liegt schwarz vor ihnen. Drinnen ein wenig Feuer, plötzlich draußen polternde Geräusche. Die Mutter (Claudia Martini) gibt der Tochter ein Zeichen, dass sie sich verstecken soll. Drei Gestalten mit Pelzmasken und Geweihen stehen vor dem Haus. Als die Mutter sie erblickt, wendet sie sich sofort zurück zur Tür, schließt zu und wartet zitternd den Lärm der ungebetenen Gäste ab. Eine Männerstimme ruft: „Niederbrennen sollte man deine Hütte!“
Lukas Feigelfelds Spielfilmdebüt „Hagazussa“ beginnt seine Geschichte aus dem 15. Jahrhundert fast ohne Dialoge, dafür mit unheilvoll stimmungsvollen Bildern und einer träge eloquenten Tonspur. Wo Worte fehlen, dringen Geräusche oft überdeutlich in den Vordergrund, die zerdehnten Streicherdrones der griechischen Band MMMD geben eine ungute Richtung vor. Auch wenn in diesem Film sehr wenig passiert, ist von Anfang an klar, dass dieses Wenige kein gutes Ende nehmen wird. Und es beansprucht unablässig seinen eigenen Raum, seine schleichend angespannte Gegenwart.
Die Hirtin, unbehütet
Nach dem Tod der Mutter, sie ist einer Krankheit erlegen, bleibt die Tochter, Albrun mit Namen, in der Hütte zurück. Sie ist inzwischen selbst Mutter, einen Vater „gibt“ es nicht, ihre Tochter heißt nach Albruns Mutter Martha. Aleksandra Cwen verkörpert diese Albrun, die sich als Ziegenhirtin durchschlägt, mit sanft-entschlossen verschlossenem Ausdruck. Sehr zerbrechlich wirkt diese junge Frau, die stets einen streng geflochtenen Zopf auf dem Kopf trägt.
Von der Dorfbevölkerung wird Albrun verspottet, der Priester gibt ihr einen Totenschädel mit nach Hause, um sie in ihrer Abgeschiedenheit vor Irrwegen zu bewahren. Allein Swinda (Tanja Petrovsky) scheint sich ihrer anzunehmen, lässt aber bald durchblicken, dass sie auf die heidnische „Hexe“ eher herabblickt, als dass sie sie als ihresgleichen anzunehmen bereit wäre.
Feigelfeld braucht nur wenige Gesten, um klarzustellen, dass Albrun erst gedemütigt und ihr später Gewalt angetan wird.
Alles entgleitet
Um Albrun herum scheint dieweil alles bedrohliche Bedeutung anzunehmen: der finstere Tann, die dunkle Hütte, die schwarzen Berggipfel. Ihre Wahrnehmung wird mehr und mehr zur reinen sinnlich-dichten Körperlichkeit, die Kamera will die Bäume, Gräser, Tiere und Pflanzen, die Albrun umgeben, wie scheint schier aufsaugen. Der Film spielt dabei geschickt mit der Grenze von Albruns unerfüllter Sexualität, unfreiwilliger Ausgegrenztheit und dem allmählichen Abgleiten in den Wahnsinn.
Ein wenig wie der vor einigen Wochen in digital restaurierter Form wieder ins Kino gebrachte Gruselfilm „Laurin“ (1986) von Robert Sigl arbeitet „Hagazussa“ fast ausschließlich über bildmächtige Stimmungen. Bei Feigelfeld sind es insbesondere das schattige Licht, das die Enge und Ausweglosigkeit der Bergregion bestens einfängt – und die sprechenden Blicke, diese angstvollen Abgründe, als die er Cwens Augen bevorzugt inszeniert.
Mit „Hagazussa“, seinem Abschlussfilm an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin, hat Feigelfeld die verschiedenen Nuancen des Unheimlichen geschickt als erzählerische Mittel eingesetzt – und, in Gestalt des Fantastischen, ganz beiläufig so aktuelle Fragen wie weibliche Selbstbestimmung und Diskriminierung angesprochen.
„Hagazussa“ läuft vom 25. Mai bis 6. Juni im Filmrauschpalast
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