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„Musik ist ja irgendwie alles“

Anne Rolfs und ihre Geschichte, ihre Musik. Mit „Mag“ stellt sie einen Sommerhit für Leute bereit, die keine Sommerhits mögen

Die Musikerin Anne Rolfs Foto: Nadine Ethner

Von Jens Uthoff

Anne Rolfs blickt nachdenklich drein. Sie zieht die Augenbrauen unter der Hutkrempe ein bisschen herunter, schaut von dem Café, vor dem wir sitzen, Richtung Straße und sagt: „Das mit der Musik ist so’ne komische Sache.“ Rolfs hält kurz inne, wirkt so, als ringe sie um Worte. Sagt dann: „Musik ist ja irgendwie alles. Sie umfasst alle Aspekte des Lebens. Um selbst so lange Musik zu machen und durchzuhalten, muss man das auch wollen, muss man das sein. Sonst schafft man es nicht.“

Die Frau mit dem schmalen Gesicht, dem schwarzen Hut und den dunkelblonden langen Haaren weiß, wovon sie redet. Ihre erste Band in Berlin hatte Rolfs, als sie 17 war – ungefähr zur Wendezeit, sie kam damals aus Rostock an die Spree. In den Neunzigern war sie Sängerin und Gitarristin der Noiserock-Band Wuhling, die zwar im seinerzeit wegweisenden Chicagoer Postrock-Zirkel um Steve Albini verehrt wurde – hierzulande aber weitestgehend unbemerkt blieb. Dabei textete und sang sie doch auf Deutsch.

Vieles davon ist noch heute so. Rolfs hat seit rund fünf Jahren eine neue Band mit dem ungoogelbaren Namen „Auf“, und auch dieses Duo, bei dem sie von Schlagzeuger Mathias Brendel unterstützt wird, ist bislang nicht wirklich wahrgenommen worden. „Getimed“, das in diesen Tagen erscheinende Album, ist nun eigentlich so getimt, dass sich das ändern könnte: Denn es ist eine Platte, die gut ins Frühjahr passt, vom Aufbruch („Komm lass uns gehen“) erzählt und mit „Mag“ einen Sommerhit für Leute bereitstellt, die keine Sommerhits mögen.

Hat man das Album gehört, versteht man besser, wie Anne Rolfs über Musik denkt, was Musik für sie ist: alles eben. Nicht als Floskel, sondern aus tiefster Überzeugung. Man kann das hören. Mit jedem warmen Gitarrenakkord, mit jedem Vers. „Du machst das Radio an/ und dieser Song/ meint alles gerade das/ was man nicht sagen kann“. Ihre Lieder zeigen Rolfs, die oft mit sehr hoher, heller Stimme singt, dann auch in allen Facetten: als Romantikerin, Zweiflerin, Optimistin, Macherin, Eigenbrötlerin, Bohemienne.

Anne Rolfs wuchs in Rostock auf. Lernte als Kind am Konservatorium Gitarre spielen. „Das war in der DDR wie Leistungssport, die wollten eine musikalische Elite ausbilden“, sagt sie und spricht von „Drill“. Sie machte weiter. Und setzte kurz vor der Volljährigkeit alles auf die Karte Musik: schmiss die Schule hin. Ging nach Berlin. Gründete eine Band.

Aus ihrer ersten Combo ergab sich bald die Gruppe Wuhling, die sich im Umfeld des Labels Kitty-Yo ansiedelte. Trotz großer Anerkennung aus Musikerkreisen verließ Rolfs die Band Ende der Neunziger, aus heutiger Sicht findet sie die Wuhling-Songs zu wenig ausgereift. „Ich musste in mich gehen. Ich wollte herausfinden, wie ich die Gitarre sehe und was dieses Instrument für mich ist.“

Rolfs machte dann zunächst solo Musik. „Alleine aufzutreten ist eine sehr gute musikalische Schule“, erklärt sie. „Da ist niemand, der etwas abfängt. Ein ­falscher Ton, und es hat direkt Konsequenzen, es kommt sofort bei den Leuten an.“ Unter dem Alias Allroh veröffentlichte sie Ende der Nullerjahre eine EP und ein Album, ging mit den US-Postrockern Shellac auf Tour. Über die Jahre hinweg hielt sie sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser.

Allroh ist ein Findungsprozess, an dessen Ende der Wunsch steht, wieder in einer Band zu spielen. Auch deshalb, weil die Musik für sie etwas essenziell Soziales ist: „Musik machen heißt, zusammen zu sein, mit Menschen etwas zu teilen. Es ist nicht wie Malerei.“ Eine Kunstform übrigens, die Rolfs auch betreibt und die ihr helfe, wenn sie nicht wisse, wie weiter. Mit den Akkorden, mit dem Leben.

„Getimed“ zeigt, dass „Auf“ die Qualität locker auch auf Langstrecke halten kann

Es dauert, bis sie schließlich mit Brendel, den man von Live-Auftritten mit Peaches kennt, den richtigen Drummer findet. Denn sie sucht – und findet – jemanden, der stilistisch nicht festgelegt ist. „Bloß keine Stile!“, sagt Rolfs während des Interviews in dem Café in der Muskauer. Als Auf finden Brendel und Rolfs schnell zu einem eigenen Stil, zu hören in Songs wie „Ich und du“ auf dem Debüt-Minialbum mit dem unschlagbaren Titel „CD“ (2013) und dem ebenso genialen Cover mit Späti-Foto dazu.

„Getimed“ ist nun das erste „richtige“ Album. Es zeigt, dass Auf die Qualität locker auch auf Langstrecke halten kann. Musikalisch wie textlich. Bei den Lyrics sei es ihr wichtig, sie auf „einen existenziellen Punkt runterzubrechen“, sagt Rolfs. In den Texten spielen Städte wie Berlin, Paris und New York („19 Millionen“) eine Rolle; in letzterem Stück erzählt sie davon, dass man nicht vor Konflikten fliehen kann, indem man in eine Metropole zieht.

Der Song „Diese Stadt“ sei dagegen ihre Hommage an Paris und handele überhaupt von dem „Phänomen, dass eine Stadt einen so derart packen kann“. Ob denn Berlin, wo sie seit rund drei Jahrzehnten hier lebt, eine Heimat oder ein Zuhause für sie sei? „So etwas wie ein Zuhause gibt es bei mir nicht. Zu Hause bin ich bei mir“, sagt sie.

Die insgesamt 10 Songs auf „Getimed“ sind manchmal schmachtfetzig, aber nie kitschig. Oft sehnsuchtsvoll, aber nicht pathetisch. Lyrisch, und dennoch nie entrückt. Wird Zeit, dass das endlich mehr Leute zur Kenntnis nehmen.

AUF – „Getimed“ (Klangbad/Broken Silence)

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