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Wo die Äpfel langsam atmen

Der Herzapfelhof im Alten Land ist seit 2015 zertifizierter Bio- und Demeterbetrieb. Grund für die Umstellung war neben dem Preisdumping im konventionellen Anbau auch die steigende Nachfrage nach regionalem Bio-Obst, erzählt Obstbaumeister Hein Lühs

Von Petra Schellen

Au ja, zur Herzapfelblüte ins Alte Land! Herzapfelblüten? Soll das eine neue Sorte sein? Nein, das sind die halbwegs berühmten Äpfel mit dem Herz-Logo drauf. Natürlich nicht mit böser Chemie draufgesprüht, sondern per Schablone aufgebracht, die im August auf die Äpfel kommt und im September wieder runter, frei nach dem „Bikini“-Prinzip: Was man abdeckt, bleibt hell.

Erfunden hat das Obstbauer Hein Lühs, der auch seinen Hof nach dieser Idee benannte. Die Bäume des „Herzapfelhofs“ wachsen im Städtchen Jork im Alten Land, das eigentlich nicht alt ist, sondern neu: Menschengemachtes Kulturland ist das, im Laufe der Jahrhunderte der Elbe abgetrotztes Marschland, von niederländischen Kolonisten sorgsam eingedeicht.

Bis Mitte des 19. Jahrhunderts haben die Bauern der Gegend vor allem Viehzucht betrieben. Dann reichte der Ertrag nicht mehr aus, einer nach dem anderen stellte auf Obstanbau um; eine neue Altländer Identität, ein Markenzeichen war geboren.

Touristisch wertvoll war und ist das Ganze außerdem; Obstblüte im Frühjahr und Selbstpflücken im Herbst gehören für Städter quasi zum guten Ton. Kilometerweit kann man da auf den Deichen wandern, den Blick über weite Plantagen und reich verzierte Bauernhäuser genießend.

Dabei ist die Gegend gar nicht so übersichtlich und handlich, wie man denkt. Wer etwa unbedarft die Blankenese-Fähre nach Cranz besteigt und dann glaubt, mal eben nach Jork wandern zu können, irrt gewaltig: Man wandert und wandert, kommt durch Dörfer wie Leeswig und Königreich, immer weiter …

Irgendwann man auf, es zu Fuß schaffen zu wollen und verlegt sich aufs Radeln oder Busfahren, denn das böse, luftverpestende Auto will man ja nicht nutzen zwischen all den Biohöfen.

Das heißt, es sind natürlich nicht alle, aber es werden mehr. Einer von ihnen ist der „Herzapfelhof“ von Hein Lühs und seiner Familie, allerdings erst seit 2015. „Bis dato haben wir Zwetschgen, Pflaumen, Kirschen und Birnen, aber vor allem Äpfel konventionell angebaut“, erzählt Hein Lühs. „Aber wenn im konventionellen Anbau nur noch die europäische Erntemenge zählt und wenige Großabnehmer versuchen, die Preise immer weiter zu knebeln, kann ein Familienbetrieb teilweise nicht einmal mehr die laufenden Kosten decken. Also haben mein Sohn und ich gesagt: Lass es uns wagen.“

Der 1960 geborene Lühs ist in der vierten Generation Obstbauer, hat nach der Lehre an der Jorker Obstbauschule seinen Abschluss als Obstbaumeister gemacht – und kann sich gar nichts anderes vorstellen. Schon sein Kinderwagen hat in den Plantagen gestanden, wenn plötzlich alle mit anpacken mussten. „Und schon als Junge habe ich gern mitgeholfen“, sagt er. „Ich bin da reingewachsen.“

Schön muss das sein, eine Kindheit unter Obstblüten zu verbringen; plausibel, dass da kein „Nine-to-Five“-Büromensch herauskommt, sondern einer, der frische Luft schätzt und sich gern dem Rhythmus der Natur anpasst. Beziehungsweise unterwirft, denn wenn es im Frühling plötzlich friert, muss er Tag und Nacht wachsam sein, den Wetterbericht hören und im Internet nachsehen, ob eine der Warnstationen der Region Minusgrade meldet.

Denn die Blüten – wichtigstes Kapital des Obstbauern – dürfen nicht erfrieren, und damit das nicht passiert, brauchen sie einen Mantel aus dünnem Eis, unter dem es mollig warm ist. Der entsteht durch tröpfelnde „Frostberegnung“ der Pumpanlagen in den Plantagen, die die Obstbauern dann einschalten.

Oder eben nicht: Diese Entscheidung ist eine delikate Sache, da kann es um ein Grad mehr oder weniger gehen, um einen aufkommenden Wind, um ein paar Wolken. Da telefoniert man eventuell mit Nachbarn, fragt Berufskollegen, wie sie es machen, wägt hin und her. Wobei es in der Nachbargemeinde schon ganz anders aussehen kann, „denn Wetter ist eine sehr lokale Sache“, berichtet Lühs.

Das Wasser für die erste Frostnacht stammt übrigens aus aufgefangenem Regenwasser, „das haben wir auf den Höfen“, sagt Lühs. „Das Wasser für weitere Nächte nehmen wir bei Bedarf aus der Binnen-Elbe bei Hahnöfersand“, sagt er und fürchtet, dass das mit zunehmender Elbvertiefung immer salziger und unbrauchbarer wird.

Aber das ist Zukunftsmusik, noch funktioniert es ja, und die durchwachten Nächte regen ihn nicht auf. „Wenn die Ernte eines Jahres davon abhängt, schlägt man sich gern ein paar Nächte um die Ohren“, sagt Lühs. Im Ernstfall fährt er dann mit seinem Sohn von Plantage zu Plantage, um die Pumpen von Hand einzuschalten und immer wieder zu kontrollieren. „Ja, das macht viel Arbeit“, sagt er. „Wenn man richtig reich werden will, muss man was anderes machen.“

Aber gut leben will er, und deswegen ist er das Risiko eingegangen, von konventionellem auf Bio-Anbau umzustellen. Drei Jahre dauert das: „Wir mussten uns regelmäßig Kontrollen unterziehen, bevor wir das Bio- und das Demeter-Siegel nutzen durften“, berichtet Lühs. Aber bis auf zwei später zugepachtete Felder, deren Umstellung noch läuft, ist jetzt der ganze Betrieb bio.

Und dann? Erntet man zehn, 20 Prozent weniger als konventionelle Obstbauern. Außerdem muss man Mehltau-Spitzen von Hand abschneiden, statt sie zu spritzen. Man pflückt faule Früchte von Hand – „insgesamt 50 Stunden Mehrarbeit fallen beim Biohof pro Hektar an. Und die wollen bezahlt sein“, sagt Lühs.

Die Blüten dürfen nicht erfrieren, und dazu brauchen sie einen Mantel aus dünnem Eis

Aber er bereut die Entscheidung, die er ausdrücklich gemeinsam mit seinem Sohn, dem „Junior“ traf, nicht. Denn abgesehen vom Preisverfall im konventionellen Anbau hätten auch immer mehr Kunden gefragt, ob sein Obst denn auch bio sei.

Aus dem Herzapfel-Gag – eigentlich als Präsent für Stammkunden erfunden – habe sich zudem eine rege Nachfrage nach Äpfeln mit Firmenlogo entwickelt. Das ist ein Geschäftszweig, der quasi nebenbei entstand und mit Biosiegel noch besser läuft.

Ihm ist es recht, „denn ohne Wirtschaftlichkeit funktioniert Bio nicht. Dann kann man nicht mehr bestehen, falls der Markt unter Druck gerät“. Oder wenn das Wetter eine schlechte Ernte befürchten lässt. In solchen Jahren müssen die Obstbauern jede einzelne Blüte retten, durchbringen, zur Frucht reifen lassen.

Damit das sicher gut geht, mietet Lühs, wie viele Kollegen, jedes Jahr Bienenvölker zur Bestäubung. Das war im Alten Land, wo viele Bäume gleichzeitig blühen, schon immer so „und hat mit dem aktuellen Bienensterben nichts zu tun“, sagt Lühs. Allerdings hätten die „Mietpreise“ für Bienen in letzter Zeit angezogen.

25 Bienenvölker braucht Lühs, eins pro Hektar, und die kommen zur frühen Kirsch- und bleiben bis zur Apfelblüte. Und natürlich kann man denen nicht beibringen, wessen Blüten sie bestäuben sollen. Aber Bienen entfernen sie sich ungern weiter als 500 Meter von ihrem Volk – solange das Blütenangebot in der Nähe reichhaltig ist. Wenn es so kalt ist, dass die Bienen nicht arbeiten mögen, lässt Lühs die Hummelvölker los, die er vorsichtshalber in Reserve hält. Die arbeiten auch bei Kälte. „Keine Ahnung warum; vielleicht gibt es da eine Temperaturgewerkschaft“, sagt Lühs und lacht.

Tja, und dann – muss man warten, schauen und hoffen, dass es eine gute Mischung aus Regen, Wind und Sonne gibt. Besonders Wärme macht die Äpfel widerstandsfähig. „Die faulen Stellen sind immer da, wo die Sonne nicht hinkam“, sagt Lühs.

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