piwik no script img

Eine Schule fürs Leben?

Die Wahl der Schulform kommt heute oft schon einer Weichenstellung gleich. Konfessionell, anthroposophisch, international – was alternative Schulmodelle bieten

Von Nicolas Flessa

Seit 1992 hat sich die Anzahl der Privatschulen in Deutschland verdoppelt; über 730.000 Schülerinnen und Schüler besuchten 2016 bereits private Bildungseinrichtungen. Längst sind private Schulen keine Einrichtungen der gesellschaftlichen Elite mehr. Durch eine Vielzahl pädagogischer Ansätze und Organisationsstrukturen stehen sie auch Kindern aus einkommensschwächeren Familien offen. Was aber veranlasst Eltern, die selbst eine staatliche Schule besucht haben, ihre Kinder auf eine Privatschule zu schicken?

Wie eine 2017 veröffentlichte Studie der Universität Passau zeigt, geben schlechte Erfahrungen mit Regelschulen nicht selten den Ausschlag, sich für eine Privatschule zu entscheiden. Als weitere Motive werden die Hoffnung auf einen wertschätzenden Umgang mit dem Kind, die Vermeidung von Leistungsdruck, der Erhalt der Lernfreude des Kindes, aber auch die Kompetenz der jeweiligen Einrichtung im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung genannt. Neben diesen positiven Zuschreibungen spielt, der Autorin der Studie Christina Hansen zufolge, auch die Kompensation von Schwächen des eigenen Kindes eine nicht zu vernachlässigende Rolle bei der Wahl einer Privatschule. Mag die grundsätzliche Entscheidung für eine nichtstaatliche Schule auch auf diese Motive zurückzuführen sein, so ist am Ende doch meist die persönliche Einstellung der Eltern maßgeblich. Denn das Spektrum an alternativen Schulformen ist breit.

Die Waldorfschule ist zweifellos die bekannteste alternative Schulform. Obwohl sie im kommenden Jahr stolze 100 Jahre alt wird, ist sie voll im Trend. Der Bund der Freien Waldorfschulen zählt deutschlandweit 244 Rudolf-Steiner-Schulen – 64 Schulen mehr als noch vor 14 Jahren. Ein Charakteristikum dieser anthroposophisch geprägten Schulen bildet, neben dem Wegfall des Sitzenbleibens und der klassischen Zensuren, ein entwicklungsorientierter Lehrplan und die besondere Betonung des künstlerisch-handwerklichen Unterrichts. Dabei bieten Waldorfschulen anerkannte Schulabschlüsse an – von der Mittleren Reife über die Fachhochschulreife bis hin zum Abitur.

Eine andere Möglichkeit, den eigenen Kindern eine wertegebundene Ausbildung zuteil werden zu lassen, ist eine der zahlreichen konfessionsgebundenen Einrichtungen in Deutschland, die mit rund 2.000 von insgesamt 5.800 Schulen in privater Trägerschaft bis heute zahlenmäßig eine klare Führungsrolle einnehmen. Kurioserweise besuchen trotz der größeren Anzahl evangelischer Schulen fast doppelt so viele Schüler die katholische Alternative – unter anderem durch zahlreiche kleine Neugründungen evangelischer Schulen in den neuen Bundesländern. Eine Mitgliedschaft in der jeweiligen Kirche ist in der Regel nicht vorgeschrieben, kann aber bei der Aufnahme des Schülers eine Rolle spielen. Die Lehrinhalte orientieren sich bis auf das Fach Religion fast immer an den staatlichen Lehrplänen, auch im Fall der wenigen jüdischen Einrichtungen.

Wer es lieber unabhängig von Staat und Kirche mag, für den könnten Demokratische Schulen, auch Freie Alternativschulen genannt, die richtige Bildungsstätte sein. Ihr Konzept umfasst neben selbstbestimmtem Lernen auch eine demokratische Mitbestimmung der Schülerinnen und Schüler. Dieses im Gedankengut der 1970er Jahre wurzelnde Schulkonzept geht im Kern auf die Forderungen des Pädagogen A. S. Neill und die von ihm gegründeten Summerhill und die davon abgeleiteten Sudbury-Schulen zurück. In Schulversammlungen werden basisdemokratisch Verhaltensregeln verabschiedet, die für alle gelten. An die Stelle von Lehrplänen tritt das Vertrauen in die angeborene Lust der Kinder zu lernen. Lehrer, meist nur Erwachsene genannt, unterstützen sie dabei, anstatt Druck oder Kontrolle auszuüben.

Auch Montessori-Schulen, von denen es derzeit an die 400 in Deutschland gibt, verfolgen den Gedanken, den Schüler zu befähigen, ohne ihn zur Bildung zu zwingen. Im Gegensatz zu den Waldorfschulen spielt hier die künstlerische Ausbildung keine zentrale Rolle, wichtiger sind die sogenannten Materialien, die den Schülerinnen und Schülern bei aufkeimendem Interesse von den Pädagogen dargeboten werden, darunter das Sinnesmaterial, Sprachmaterial und Mathematikmaterial.

Andere Formen alternativer und privat organisierter Schulen haben weniger die Freiheit und Selbstbestimmung des Kindes im Blickfeld, als den späteren wirtschaftlichen Erfolg. Beispiele sind Internationale Schulen, die als Vorbereitung für Auslandsstudien verstanden werden können. Sie ähneln mit ihrer Ausrichtung an (inter-)nationalen Lehrplänen eher staatlichen Einrichtungen als Waldorf- oder Montessori-Schulen. Auch Internate wie Schloss Salem oder Schloss Torgelow gehören zu dieser Gruppe von Privatschulen, die ein ganz anderes Bild privater Ausbildung in die Öffentlichkeit transportieren: leistungsorientierte Kaderschmieden für die gesellschaftliche Elite von morgen.

So oder so gilt: Die Entscheidung, sein Kind keiner staatlichen Schule, sondern einer Privatschule anzuvertrauen, sollte in jedem Fall gründlich geprüft werden, etwa anhand konkreter Schulbesuche und Gespräche mit Schülern und Lehrern. Sie kann sich als wichtigste Weichenstellung in der Frühphase der kindlichen Entwicklung erweisen – und wird zweifellos große Auswirkungen auf sein späteres Weltverständnis haben. Welcher Schultyp für das eigene Kind geeignet ist, sollte daher nicht nur den Überzeugungen der Eltern geschuldet sein, sondern auch das spezifische Wesen des Kindes berücksichtigen. Umso wichtiger ist es, das eigene Kind früh in den Prozess dieser Entscheidung einzubinden; in welchen Umgebungen fühlt es sich wohl? Welche Art des Lernens liegt ihm schon jetzt – und welche Tätigkeiten fallen ihm leicht? Wer das Konzept der alternativen Schulen ernst nimmt, kommt nicht umhin, die Selbstbestimmung des Kindes als einen wesentlichen Motor menschlicher Entwicklung zu betrachten – wo, wenn nicht bei der Wahl der Schule, sollte dieser Respekt vor dem Wesen des Kindes eine nicht zu überhörende Rolle spielen?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen