: Klare Kriterien gibt es nicht
WISSENSCHAFT Wann wird „geistiges Eigentum“ verletzt? Die jüngste Debatte zeigt, wie schwer die Grenzen im Einzelfall zu ziehen sind
Berlin taz | Wo hört schlampige Zitierweise auf, wo beginnt das Plagiat? Der Fall von Bundesbildungsministerin Annette Schavan zeigt, wie schwierig die Grenze im Einzelfall zu ziehen ist – und wirft die Frage auf, ob Plagiatsfälle daher verjähren sollten. Das fordert etwa der Bonner Wissenschaftsrechtler Wolfgang Löwer, der auch Ombudsmann der Deutschen Forschungsgemeinschaft für gute wissenschaftliche Praxis ist.
Klare Kriterien, wann ein Doktortitel aberkannt werden muss, gibt es nicht. Erst 1998 verabschiedete die Hochschulrektorenkonferenz Empfehlungen zum „Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten“. Als „möglicherweise schwerwiegendes Fehlverhalten“ werden darin unter anderem das „Erfinden von Daten“ oder die „Verletzung geistigen Eigentums“ genannt, also das klassische Plagiat.
Entscheidend, heißt es, seien „die Umstände des Einzelfalls“. „Es ist immer eine Frage der Abwägung. Wiegt die eigenständige geistige Leistung höher als eine unsaubere Arbeitsweise oder nicht?“, sagt Matthias Jaroch, Sprecher des Deutschen Hochschulverbandes.
Die Vorwürfe gegen Schavans Dissertation „Person und Gewissen“, die sie vor 32 Jahren einreichte, wurden zunächst von einen anonymen Plagiatsjäger im Internet erhoben. Ein „Robert Schmidt“ legte in der vergangenen Woche seine Auswertung vor. Der gravierendste Fund findet sich seiner Meinung nach auf Seite 312. Dort referiert Schavan die Theorie der Gewissensbildung bei Sigmund Freud und zitiert ausgiebig aus dessen Oeuvre. Auffällig ist die Ähnlichkeit zu einem Werk der Sekundärliteratur, so dass der Verdacht naheliegt, dass die jetzige Bildungsministerin sich nicht selbst durch die Werke des Psychoanalytikers gelesen hatte.
Medienberichten zufolge tagt der Promotionsausschuss der Uni Düsseldorf, der über Schavans Verfehlungen befinden soll, am Mittwoch. Er spricht eine Empfehlung an den Fakultätsrat aus, der über einen möglichen Titelentzug entscheidet. Die Uni selbst mauert: Man beteilige sich nicht an Spekulationen, teilte ein Sprecher mit.
Der Bonner Wissenschaftsrechtler Wolfgang Löwer fordert, dass Promotionsschummeleien wie andere Vergehen verjähren sollten. „Man sollte Lebensleistungen nicht beliebig lange relativieren können. Irgendwann sollte man Rechtssicherheit haben.“ So können akademische Abschlüsse unterhalb der Promotion nicht beliebig lange aberkannt werden. BERND KRAMER