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Algerischer Realismus

Unabhängigkeit, Bürgerkrieg, Ratlosigkeit: Die Reihe „The Past in the Present“ im Kino Arsenal zeigt das junge algerische Kino zwischen Aufbruch und Depression

Von Fabian Tietke

Als das Licht im Kinosaal ausgeht, flimmern für einige Sekunden Bilder aus einem Stadtporträt über die Leinwand, das der Schauspieler Mohamed Zinet 1971 im Auftrag der Kommunalverwaltung von Algier gedreht hat. Ein Kind rennt eine Treppe herunter. Wenn die Erinnerung an die Vorführung von „Tahia ya Didou“ – so der Titel des Films – nicht trügt, ist diese Treppe in Zinets Film wie ein Nadelöhr, als Tor zur Stadt, durch das jeder früher oder später ­gehen muss.

Der algerische Regisseur Lamine Ammar-Khodja nimmt „Tahia ya Didou“ und den Ort in seinem Film „Bla cinema“ (Straight from the Street) zum Ausgangspunkt einer Stichprobe: Vor einem der alteingesessenen Kino von Algier, das kurz zuvor renoviert wurde, befragt er Menschen zum Kino. Schnell driften die Gespräche ab und werden zu einem Einblick in die Gegenwart Algiers. Lebhafte Debatten über den Einfluss Chinas im Land und darüber, ob es nun gut oder schlecht ist, dass so viele türkische Filme in den Kinos von Algerien zu sehen sind, wechseln sich mit Profanerem ab. Eine der Passantinnen wundert sich, wie Ammar-Khodja freiwillig einen Film drehen kann, ohne vorher den Müll aus den Straßen entfernt zu haben. Im türkischen Kino sieht die Welt doch ein wenig anders aus.

Ammar-Khodjas Film ist einer von sieben Filmen, mit denen Birgit Kohler, eine der drei Leiterinnen des Berliner Arsenals, das Augenmerk auf eine junge Generation algerischer Filmschaffender richtet. Unter dem Titel „The Past in the Present“ widmet sich die Reihe dem algerischen Kino der letzten fünf Jahre mit besonderem Augenmerk auf Filme über die algerische Vergangenheit.

Der langwierige Kampf um die Unabhängigkeit, der von 1954 bis 1962 in einem brutalen Krieg geführt wurde. Das Dilemma einer demokratischen Wahl, aus der Islamisten Anfang der 1990er Jahre als Sieger hervorgingen, und der Bürgerkrieg, nachdem die Armee und der mächtige Geheimdienst sich weigerten, die Islamisten an die Regierung zu lassen – all das scheint in vielen Filmen immer wieder auf. Nach einer Welle von Filmen zu Algerien Anfang der 2000er Jahre, von denen die meisten in Marokko mit den neu geschaffenen Förderinstrumenten des EU-Filmförderprogramms Euromed Audivisual realisiert wurden, ist es jenseits einiger Festivalfilme still geworden um das algerische Kino. Die Reihe des Arsenals weist zu Recht darauf hin, dass das eine Unterlassung ist.

In immer neuen Spielarten inszeniert das algerische Kino Ratlosigkeit angesichts der heimischen Verhältnisse: in „Atlal“ von Djamel Kerkar wird den Verwüstungen inmitten des „dunklen Jahrzehnts“ von 1991 bis 2001 der Wiederaufbau gegenübergestellt. Doch mittendrin sitzen jeden Abend Jugendliche, die keine Ahnung haben, worin ihre Zukunft bestehen soll – außer wenn sie es über das Mittelmeer nach Europa schaffen. Die Geschichten ähneln jenen, die sich die Männer in einem Schlachthaus erzählen, das im Zentrum von Hassen Ferhanis „Roundabout in My Head“ steht. Beide – Schlachthaus und abendliches Feuer – sind sozialer Bezugspunkt für Menschen und deren Geschichten, aus denen eine Momentaufnahme des Alltags in Algerien entsteht.

Karim Moussaoui bastelt aus diesen Geschichten in „En attendant les hirondelles“ („Until the Birds Return“) einen Spielfilm über einen Bauunternehmer und seine Familie, die aus seinem Sohn, seiner Ex- und seiner zweiten Frau besteht. Als er nachts eine Autopanne hat und Zeuge wird, wie zwei Männer einen anderen Mann bewusstlos prügeln, bleibt er genauso passiv und erstarrt wie in seinem Privatleben. Eine junge Frau wird mit ihrem Vater ans andere Ende Algeriens gefahren, um ihre Hochzeit vorzubereiten. Der Fahrer ist ausgerechnet eine alte Liebe von ihr, und alles scheint mit einem Mal wieder kompliziert. Ein Neurologe wird kurz vor seiner Hochzeit von seiner Vergangenheit im Bürgerkrieg der 1990er Jahre eingeholt. Elegant driftet der Regisseur Moussaoui von einer Geschichte zur nächsten, inszeniert menschliche Verhaltensformen auf dem schmalen Grat zwischen Individualität, Gesellschaft und Parabelhaftigkeit.

Die Filmreihe „The Past in the Present“ hat ein einziges Manko: sie ist zu kurz. Fast jeder der Filme macht Lust darauf, mehr von diesem ebenso nüchtern-ehrlichen wie klug verarbeitenden Kino zu sehen.

The Past in the Present – Neue Filme aus Algerien, Kino Arsenal, Potsdamer Str. 2, 2. – 6. 5. (6. 5. Gespräch über das algerische Kino, 18 Uhr) www.arsenal-berlin.de

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