: Geschichten ihres Lebens
Wer beim Gallery Weekend unterwegs ist, darf diese Schau nicht versäumen: Faith Ringgold in der Galerie Weiss. Hier wird die erste Einzelausstellung der afroamerikanischen Künstlerin in Deutschland gezeigt
Von Beate Scheder
Das Leben der Künstlerin Faith Ringgold ist wie ein offenes Buch. Wer wissen möchte, wer sie ist, braucht sich nur diesen Quilt anzusehen: „Seven Passages to a Flight“ aus dem Jahr 1997. Ringgold erzählt darauf ihre Biografie in Kurzform. Sie beginnt bei ihrer Geburt, berichtet, wie sie sich als asthmakrankes Kind zu Hause mit Malen beschäftigte, wie sie sich schon in der Schule gegen Rassismen zur Wehr setzte, wie sie gegen alle Widerstände Kunst studierte beziehungsweise Kunsterziehung, mehr war damals für sie als Frau nicht möglich. Sie schreibt davon, wie sie sich als Künstlerin entwickelte, und vom privaten Glück mit ihrer Familie. Auf den Bildern dazwischen sieht man sie entsprechend als Baby und Kind, als Studentin, als Künstlerin, als Mutter und Ehefrau. Auf dem Bild in der Mitte fliegt sie lächelnd und mit ausgebreiteten Armen über die George Washington Bridge in New York, als hätte sie Superkräfte. Es ist viel Stoff für einen Quilt, der für Ringgolds Verhältnisse noch nicht einmal besonders groß ist.
Man muss ihm direkt gegenüberstehen. Fotografische Abbildungen können kaum alle Details wiedergeben, so ist es bei allen Arbeiten Ringgolds, die wie „Seven Passages to a Flight“ zurzeit in Wilmersdorf in der Galerie Weiss hängen. Die Einzelausstellung, die am Dienstagabend eröffnete, ist Ringgolds erste in Deutschland und fast die erste in Europa – in London geht am Wochenende eine kleine Werkschau zu Ende. Ziemlich unglaublich ist das angesichts Ringgolds sechs Jahrzehnte umfassenden Oeuvres, das hierzulande logischerweise noch nicht viele kennen. Dass sich das nun ändern könnte, ist der Galeristin Kirsten Weiss zu verdanken, die zwei Jahre an der Ausstellung arbeitete und es letztlich nicht nur schaffte, eine Auswahl von Kunstwerken nach Berlin zu holen, sondern auch die mittlerweile 87-jährige Künstlerin selbst. Ringgold reiste zur Eröffnung nach Berlin und hielt bei der Gelegenheit auch gleich noch am Vorabend einen Vortrag in der Humboldt-Universität im Rahmen der W. E. B. Du Bois Lecture vor mehr als vollbesetzten Reihen. Die Veranstaltung musste sogar noch in den Nebenraum übertragen werden.
Dabei hätte sie es fast nicht rechtzeitig geschafft. Ringgold steht zwischen ihren Gemälden, Siebdrucken, Story Quilts und Textilskulpturen in der Berliner Ausstellung und lacht den Ärger weg, den sie zwei Tage zuvor am Flughafen in London hatte. Wegen einer Lappalie hatte man sie zunächst nicht ausreisen lassen wollen. Der Vorfall macht sie wütend, aus der Ruhe hat er sie nicht gebracht.
Schließlich hat sie in ihrem Leben schon ganz anderes gemeistert. Einer jener Sätze, der sowohl in ihrem Vortrag als auch im Gespräch in der Galerie mehrfach fällt, bringt es auf den Punkt: „Keiner kann mich davon abhalten, das zu tun, was ich möchte.“
Ringgold ist 1930 in Harlem geboren, zurzeit der Großen Depression. Als junge Frau und Mutter von zwei Töchtern erlebte sie die Unruhen der 1960er und 1970er Jahre hautnah mit, die blutigen Auseinandersetzungen, die Demonstrationen der Bürgerrechts- und Black-Power-Bewegung, das Aufkommen der Frauenbewegung. Sie selbst musste sich stets an zwei Fronten behaupten, als Frau und als Afroamerikanerin, maßgeblich war sie unter anderem an Protesten gegen Museen beteiligt, die Kunst von Frauen oder People of Color benachteiligten.
All das kann man in Ringgolds Künstlerbüchern und in ihrer Autobiografie ebenso nachlesen wie in ihren Bildern. Ringgold fand in den 1960ern ihre Stimme als Künstlerin. Nachdem sie nach ihrem Abschluss am City College zunächst als Lehrerin gearbeitet hatte, stellte sie sich damals in einer Galerie in Manhattan vor, zeigte die figurative Malerei, die sie zu jener Zeit machte, Stillleben und Landschaften, und wurde wieder weggeschickt: „Das kannst du nicht machen. Das ist nicht deine Geschichte“, hieß es. Ringgold fühlte sich zunächst vor den Kopf gestoßen, schließlich war das die Art von Kunst, die sie gelernt hatte, kam aber dann zur selben Überzeugung: „Kunst ist ein Ausdruck dessen, wer du bist und wo du bist, und ein Abbild der Zeit, aus der sie stammt“, sagt Ringgold heute.
Glücklich sei sie über alle Arbeiten, die sie im Laufe ihrer Karriere gemacht habe, und aufregend sei es für sie, diese wie jetzt in Berlin retrospektiv zu betrachten. Zum Beispiel die beiden ältesten Arbeiten, die dort hängen, „Man“ (1967) und „Ego Painting“ (1969). Beide stammen aus der Serie „Black Light“, für die sie sich von der abstrakten Malerei der 1960er, von Ad Reinhardts „Black Paintings“ und Mark Rothkos späten, dunklen Arbeiten, inspirieren ließ, jedoch – und das unterscheidet Ringgolds Kunst radikal von der damals angesagten – mit direktem Bezug auf die gesellschaftspolitischen Ereignisse jener Jahre: „Black Light“ ist sozusagen die malerische Übersetzung von „Black is beautiful“ mit Anleihen aus Reinhardts monochromer Abstraktion und aus der grafischen Kunst Westafrikas.
„Ich wollte die Farbpalette dieser Künstler benutzen, um ein Statement zu setzen“, sagt Ringgold. „Man“ (1967) ist die zweite Arbeit aus der Serie. Sie zeigt ein maskenhaftes, schwarzes Gesicht. „Ego Painting“ (1969), auf dem sie viermal ihren Namen und jeweils zweimal „America“ und „Black“ schreibt, ist Ausdruck ihrer politischen Identität und die erste Arbeit, in der Ringgold das traditionelle Muster der Kuba aus dem Kongo benutzt.
Die Art und Weise, wie Ringgold damals schon Modern Art und Folk Art verknüpfte, nahm sie später wieder auf, als sie ihre Story Quilts als Medium in die Kunst einführte. Neben „Seven Passages to a Flight“ sind in der Galerie noch „Tar Beach 2“ (1990) und „Marlon Riggs. Tongues Untied“ (1994) ausgestellt. Kaum sattsehen kann man sich an ihnen. Vor allem in den Quilts wird die vielleicht größte Gabe Ringgolds deutlich, selbst ernste Themen in spielerische, schöne Bilder zu verpacken. Das ist nämlich der Clou ihrer Verführungsstrategie: Mit vermeintlicher Leichtigkeit, mit fröhlichen Farben und optimistischen Darstellungen feministischer oder homosexueller Superheld*innen die Aufmerksamkeit ihres Publikums zu gewinnen, sodass dieses gar nicht mehr anders kann, als sich mit den unbequemen Wahrheiten auseinanderzusetzen, die ihm da gerade vorgesetzt werden.
Die Zeit scheint reif für Ringgolds Kunst. Im Dezember bringt das MoMA ein Buch in der Reihe „One on One“ über ihr Gemälde „Die“ (1967) heraus. Vor zwei Jahren erst hatte das Museum neun Arbeiten Ringgolds erworben. Erstmals. Für das kommende Jahr hat die Serpentine Gallery in London eine große Soloausstellung angekündigt. Ringgold selbst arbeitet gerade an einer Serie, die sich mit ihren Vorfahren beschäftigt, und an einer zu Trump. Die Themen gehen ihr nicht aus.
Bis 9. Juni, Galerie Weiss, Bundesallee 221, Di.–Sa. 13–18 Uhr
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