Punkrocks que(e)rer Kern

QUEERCORE Ihre sexuelle Orientierung war für die Frauen von Tribe 8 Grund genug, eine Band zu gründen. Deren Geschichte wurde von Tracy Flannigan verfilmt

Von Andreas Schnell

Mitte der Achtzigerjahre wurde sexuelle Orientierung zum Genre. Naja, nicht wirklich. Zwar ist das Kompositum Homocore, später durch Queercore ersetzt, um der Vielfalt der vertretenen Interessen gerecht zu werden, analog zu Emo-, Hate- und anderen (Hard-) Core-Varianten gebildet. Noch weniger als jene steht es allerdings für eine mehr oder minder genau beschreibbare Musik. Damit schließt der Begriff an eine Geschichte innerhalb der Punkbewegung an, die sich immer weit mehr an einer abgrenzenden Haltung orientierte als an einer homogenen Stilistik. Schon in den ersten Jahren von Punk spielten Künstler und Bands wie Wayne County (später Jayne County), Nervous Gender, The Leather Nun mit Gender-Konzepten, Derek Jarmans Film „Jubilee“ zeigte 1977 auch diese Facette der neuen Subkultur. Und die Tom Robinson Band veröffentlichte 1978 den Song „Glad To Be Gay“.

Zumindest Teile der recht heterogenen Hardcore-Szene übernahmen es dann in den Achtzigern, das Thema explizit zu verhandeln, Protagonisten der Szene wie Gary Floyd von den Dicks, Dave Dictor von MDC oder Randy Turner von den Big Boys bekannten sich auch in ihrer Kunst zu ihrer Homosexualität. Mitte der Achtziger etablierte sich schließlich eine Queercore-Szene mit eigenen Fanzines, Labels und natürlich Bands, von denen Tribe 8 neben Team Dresch und Pansy Division die bekanntesten wurden. Dass diese Bands musikalisch durchaus Punk und Hardcore zuzuschlagen wären, sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass unter dem Label Queercore eine bemerkenswerte stilistische Vielfalt gedieh: Der Avantgarde-Pop von Sta-Prest, die zwischen Free Jazz und experimentellem Rock angesiedelten Klänge von God Is My Co-Pilot oder die Industrial-Folk-Melange von Academy 23 fanden hier ein Plätzchen.

Einen höchst unterhaltsamen und lebendigen Einblick in diese Szene gewährt der Film „Rise Above: A Tribe 8 Documentary“ von der Regisseurin Tracy Flannigan, die die Band vier Jahre lang begleitete.

Dabei fing sie die anarchische Atmosphäre der Tribe-8-Konzerte ein, die auch unter Feministinnen gelegentlich Ärger einbrachte: So spielte die Band – im Beisein von Flannigan und ihrer Crew – auf dem Michigan Womyn‘s Festival und provozierte Diskussionen darum, ob das Bühnengebaren nicht doch zu gewalttätig sei.

In Oldenburg gibt es nun die seltene Gelegenheit, dieses mehrfach preisgekrönte Dokument zu sehen, noch dazu in Anwesenheit eines wesentlichen Protagonisten: Lynn Breedlove, einst Gründerin und Sängerin der vor vier Jahren aufgelösten Band und heute als Stand-up Comedian und Ein-Mann-Punk-Rock-Freakshow tätig, steht nach der Vorführung für Fragen und Diskussionen zur Verfügung. Und am folgenden Abend solo auf der Bühne des Friseursalons „Headcrash“. Dass auch das eine sehr unterhaltsame Angelegenheit sein dürfte, weiß, wer Breedlove einmal mit seinem Solo-Programm gesehen hat oder sein mitreißendes Romandebüt „Götterspeed“ (deutsche Ausgabe: mox & maritz Verlag) gelesen hat. Es erzählt die Geschichte des Fahrradkuriers Jim. Jim heißt bürgerlich Elisabeth, steht auf alles, was intensiv ist – Punkrock, Rad fahren, Speed – und liebt ein Mädchen, das seinen Lebensstil nicht versteht. Wer hier autobiografische Motive vermutet, liegt natürlich nicht völlig falsch.

■ „Rise Above: The Tribe 8 Documentary“: Dienstag, 18 Uhr, Cine k, Kulturetage, Oldenburg; „Confessions Of A Poser“: Mittwoch, 21 Uhr, Headcrash, Schifferstr. 10, Oldenburg