heute in hamburg: „Faszination des Bösen und des Schreckens“
Sylvia Kesper-Biermann, 50, ist Professorin für Historische Bildungsforschung an der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg.
Interview Alexander Diehl
taz: Frau Kesper-Biermann, Sie sprechen heute Abend über die „dunkle Romantik“ – was ist das eigentlich genau?
Sylvia Kesper-Biermann: Die dunkle Seite der Romantik, also einer Wendung gegen den Rationalismus, gegen die Vernunft der Aufklärung. Diese dunkle Romantik interessiert sich für die Abgründe im Menschen, den Schrecken im Menschen, aber auch für Böses, und Abgründiges, das durch den Menschen verursacht wird. Das alles wird populär Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Wenn man an romantische Bilder denkt, denkt man vielleicht an Caspar David Friedrich, an die Rhein-Romantik, also Dinge, die mit Schönheit assoziiert werden…
Und die auf dieser dunklen Seite: Wollten die denn ausdrücklich das Nicht-Schöne – oder umfasste ihre Idee von Schönheit einfach mehr als die der anderen, nämlich auch das Schreckliche?
Der Reiz liegt da in etwas anderem als dem gängigen Schönen: in der Faszination des Bösen und des Schreckens. Ich glaube, dabei spielt der Ekel als Gefühl eine wichtige Rolle, der ist ja sehr ambivalent: Er hat eine unschöne Seite, aber auch eine der Lust, der Faszination.
Ihnen geht es ja um die damalige Populärkultur. Wie sah die aus?
Ich sehe mir die dunkle Romantik vor allem am Beispiel der Folter an, die um 1800 abgeschafft wird: Man könnte vermuten, es interessiere sich auch niemand mehr dafür. Genau das Gegenteil ist der Fall: Sie wird höchst populär und das in verschiedenen Formen. Das gilt für die Literatur, aber kaum für die Hochkultur; das sind eher populärkulturelle Romane. Dann gibt es Ansichtskarten und es entstehen Foltermuseen in denen Folterinstrumente ausgestellt werden. Es gibt entsprechende Ausstellungen auch auf Jahrmärkten, in den Familienzeitschriften befassen sich Artikel mit dem Thema, es erscheinen auch populärwissenschaftliche Darstellungen, es zirkulieren sehr viele Abbildungen.
Ist damals nicht etwas begründet worden, das sich bis heute verfolgen lässt?
Ich glaube, da gibt es deutliche Kontinuitäten. Diese Museen und diese Ausstellungen gibt es bis heute, die sind bis heute kommerziell erfolgreich, die werden seit den 1990er-Jahren sogar neu gegründet. Und sie arbeiten immer noch mit den gleichen Mitteln: am liebsten in einem Keller, mit gregorianischen Gesängen vertont… Die Ergebnisse der historischen Forschung, die viele dieser populären Bilder widerlegt haben, spielen da überhaupt keine Rolle.
Vorlesung „Folter, Hexen, Inquisition.
Die ‚dunkle Romantik‘ in der Populärkultur des 19. Jahrhunderts“: 18 Uhr, Hafencity Universität, Überseeallee 16, Raum 150
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