: Vorauseilende Symbolik
„Endstation Sehnsucht“ in der Inszenierung von Michael Thalheimer am Berliner Ensemble bleibt blass
Von Katrin Bettina Müller
Blanche Dubois, das ist die mit den heißen Bädern zur Beruhigung der Nerven. Blanche Dubois, das ist die, die das Tageslicht scheut, weil Nacht und Schatten zu vertuschen helfen, wie sehr sie schon vom Leben gebeutelt ist. Blanche Dubois, das ist die, die sich viel auf ihre Südstaatenherkunft und ihre Französischkenntnisse einbildet. Aber wenn sie dann den Namen des verlorenen Landbesitzes, „Belle Rêve“, ausspricht, klingt es wie ein hartes Bellen, „Bell Reff“. Nicht mal mehr für die weichen Endsilben reicht ihre Energie.
Cordelia Wege spielt sie im Berliner Ensemble. Ihr weißes bodenlanges Kleid, eng an den Knien, scheint ein Jahrhundert älter als die Kleider ihrer Schwester Stella, zu der sie geflüchtet ist. Schon bei Blanches erstem Auftritt geht es nur steil bergab, eine schräge Fläche hinunter, auf die die Bühne reduziert ist. Eingeschnitten in eine Wand aus rostigen Platten, wirkt sie wie ein Tunnel, ein Sack ohne Entkommen.
Alle müssen hier runter in Michael Thalheimers Inszenierung von „Endstation Sehnsucht“. Bei diesem Drama um eine Frau mit erstaunlichem Potenzial zur Verdrängung ist die Gefahr groß, dass im Hinterkopf des Zuschauers die Verfilmung mit Vivian Leigh und Marlon Brando in der Rolle des Schwagers, der Blanche ihre Lügen und Träume nicht erlauben will, mitläuft. Dazu einen maximalen Abstand hinzulegen, schafft Thalheimers Inszenierung. Stattdessen läuft etwas anderes mit, die Erinnerung an ähnliche klaustrophobische Räume, die der Bühnenbildner Olaf Altmann für Thalheimer gebaut hat, für die „Ratten“ im Deutschen Theater, „Tartuffe“ und „Die Macht der Finsternis“ an der Schaubühne.
Sie stehen in der Handschrift des Regisseurs einerseits für die Fokussierung des Blicks, Konzentration auf die Schauspieler, Reduktion der Geschichte auf das heute Wichtige; andererseits für die Bedrängnis der Figuren, die Verengung ihres Möglichkeitsraumes. Das physische Spiel ist hier gebremst, was die hohe emotionale Energie kompensiert. Im besten Fall steigert sich damit die Übertragungsleistung an den Zuschauer.
Aber in „Endstation Sehnsucht“ bleibt etwas stecken, das Drama kommt aus seinem Kasten lange nicht heraus. Stanley (Andreas Döhler), der Schwager, wirft ihre Pelze und falschen Perlen durch die Gegend, beleidigt und vor den Kopf gestoßen von ihrer Verachtung seiner Welt; und man sieht dem Schauspieler bei der Arbeit zu, statt mit ihm zu gehen. Seine Pokerrunde kommt, rumort laut im Hintergrund und man denkt, ein Amateurtheater versuche sich an proletarischen Figuren. Die Erfahrungen der Herabwürdigung, der Ausgrenzung ob der Herkunft, die Angst vor dem sozialen Abstieg, die mit Stolz verteidigte Enge des eigenen Weltbilds, das alles kommt in dem Stück von Tennessee Williams vor, findet in dieser Inszenierung aber kaum einen Anschluss an die Gegenwart.
Erst in der zweiten Hälfte beginnen die Bilder auch zu berühren. Wenn Stella (Sina Martens) um ihre Schwester weint, deren Fantasien immer verstiegener werden. Wenn Blanche eine ihrer Geschichten erzählt, von einem 16-jährigen Jungen, der Gedichte schrieb und sich umgebracht hat; wenn sie für einen kurzen Moment selber merkt, wie sehr sie zurechtbiegt, was sie erinnert. Mit den Gefühlen kommt man dann endlich doch in diesem Drama an; aber was es über Milieus und die Kraft der Vorstellung für die Zementierung ihrer Regeln erzählt, bleibt blass.
Seit dieser Spielzeit ist Michael Thalheimer leitender Regisseur am Berliner Ensemble. Er hat das Haus unter der neuen Intendanz von Oliver Reese mit dem „Kaukasischen Kreidekreis“ von Brecht eröffnet; vom Schauspiel Frankfurt haben sie die Inszenierung „Penthesilea“ mitgebracht. Thalheimer hat in Berlin seit fast zwanzig Jahren schon so viele gute Stücke gemacht, der klassischen Theaterliteratur so oft zu einem neuen Gebrauch als Werkzeug für das Denken und Fühlen in der Gegenwart verholfen, dass er für jedes Theater ein Anziehungspunkt ist. Auch wenn seine jüngsten Inszenierungen eher etwas enttäuschen.
Wieder am 30. 4., 1./11./12. + 26. Mai im Berliner Ensemble
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