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Hungrige Hänflinge und hilflose Hünen

Die Jungs des FC Barcelona gewinnen die Uefa Youth League. Ihre Aussichten auf eine große Profikarriere sind trotzdem mau

Aus Nyon Markus Völker

Am Ende fegt ein Sturm übers Uefa-Stadion in Nyon-Colovray, ein Platzsturm. Kinder, jugendliche Fans und ein paar Halbstarke entern den Rasen, rennen auf die Spieler zu. Die Ordner haben keine Chance. Die Kids brechen durch die Ketten. Die Gegenwehr der Security-Leute ist allerdings auch nicht besonders groß, denn hier müssen ja keine Hools zurückgehalten werden, sondern nur ein paar Dutzend pubertäre Fußballfreunde. Sie wollen Teil der Party sein, die von den Spielern des FC Barcelona gefeiert wird. Das U19-Team der Katalanen hat am Montagabend zum zweiten Mal die Uefa Youth League gewonnen, mit 3:0 gegen den FC Chelsea, der auch schon zwei Mal Titelträger war in dieser seit 2013 bestehenden Champions League der Nachwuchskicker. Sie alle, Spieler, Trainer, Betreuer und Fanvolk, bilden ein großes Knäuel der Ausgelassenheit, und oben auf der Tribüne freut sich Peter Knäbel diebisch.

„Ach, ist das herrlich, Jugendfußball, diese Emotionen, schön“, sagt er und kommt dann gleich auf ein Nachwuchsspiel der U11 zwischen Duisburg und Bochum zu sprechen, das ihm wohl ähnlich gut gefallen hat, „einfach toll“. Knäbel war mal „Direktor Profifußball“ beim kriselnden Hamburger SV, eine kurze Zeit sogar Trainer. Es war keine glückliche Zeit. Knäbel, 51, verlor wichtige Unterlagen in einem Rücksack, unter anderem Gehaltslisten, weswegen ihn die Bild-Zeitung gern als „Rücksack-Knäbel“ bezeichnet, wenn es etwas über ihn zu berichten gibt. Letzte Woche zum Beispiel, als bekannt wurde, dass Knäbel Chef der Knappenschmiede geworden ist. So heißt das Nachwuchsleistungszentrum des FC Schalke 04. Die Finalspiele in der Youth League sind für Knäbel eine „Benchmark“, er schaut sie sich seit Bestehen der Liga regelmäßig an, um zu wissen, was die besten Jugendmannschaften Europas so drauf haben. Und weil seine Expertise offenbar gefragt ist, darf er für die Uefa den „technischen Bericht“ zum Spiel schreiben.

Die Geschichte des Spiels ist schnell erzählt: Chelsea scheint wegen der offensichtlichen physischen Überlegenheit in der Favoritenrolle zu sein, aber nach etwa zehn Minuten haben sich die Hänflinge von Barca sortiert und ziehen ihr Barca-Spiel auf mit viel Ballbesitz, flinken Kombinationen und gutem Stellungsspiel. Sie haben die Engländer, die mit einer wuchtig wirkenden Dreierkette angetreten sind, schnell im Griff. Das Mittelfeld wird zur Schaltzentrale der Spanier. Die kräftigen Jungs aus London werden von den schmalen Burschen aus Barcelona ein ums andere Mal übertölpelt wie Bluto von Popeye. Vor allem der Spieler mit der Rückennummer 14, Ricard Puig, der aussieht wie ein zu klein geratener Zehntklässler, gibt den Takt vor. In der ersten Halbzeit hat Chelsea gar keine Torchance, dafür der Gegner zwei Tore geschossen durch Carles Perez und Alejandro Marques.

In Halbzeit zwei versucht Chelsea zwar, die Lethargie abzuschütteln, aber viel mehr als ein schöner Fallrückzieher von Charlie Brown und ein Freistoß an die Latte springt nicht heraus. In der Nachspielzeit erhöht Barca auf 3:0, was wohl zwangsläufig war, hatte Trainer Francisco Pimienta noch mehr flinke Zwerge wie Dani Morer oder Marti Vila Garcia aufs Feld geschickt.

Uefa-Beobachter Knäbel hat eine Erklärung für die Dominanz der Katalanen: „die funktionelle Physis“. Es gehe im Fußball nicht darum, wie ein Titan auszusehen, sondern „um ein Gespür für Räume, Spielintelligenz und ein Verständnis für Laufwege, um Stressresistenz und Reaktionsschnelligkeit“. Technisch seien die eh alle gut, deswegen würden eben diese Fähigkeiten den Ausschlag geben. Knäbel hat das Spiel der Katalanen beeindruckt, aber einen Schmäh über die Barca-Spieler kann er sich trotzdem nicht verkneifen: „Die haben ja fast alle noch keinen Bartwuchs, und ein Wachstumsschub für den einen oder anderen wäre auch nicht schlecht.“

Zum Witzeln war Chelsea-Coach Joe Edwards nicht zumute. Er war nach dem Spiel bitter enttäuscht von der Bleifüßigkeit seiner Truppe. „Ich bin frustriert, nicht weil wir verloren haben, sondern, wie. Du musst schon dagegenhalten wollen und wirklich alles reinwerfen, deinen besten Fußball spielen und hungrig sein.“ Aber das habe sein Team alles nicht gemacht: „Das war eine wirklich schwache Leistung.“

Auf die „funktionale Physis“ komme es an, meint Uefa-Beobachter Peter Knäbel

Edwards ist davon überzeugt, dass seine Spieler trotzdem gute Chancen haben, einmal auf Topniveau bei einem Klub in der Premier League zu spielen. Aber das ist schwer, denn die gläserne Decke ist dick in der englischen Liga, wo es zwar viele Talente in hervorragenden Leistungszentren gibt, Jungprofis aber im Erwachsenenalter nicht weiterkommen, weil die Klubchefs lieber etablierte Spieler kaufen. Sonderlich wechselwillig sind die Nachwuchsspieler meist auch nicht, weil schon junge Kicker in England nicht selten 4.000 Euro in der Woche bekommen – ein Monatsverdienst für gleich gute Spieler in Deutschland.

In Spanien sind die Aussichten nicht viel besser. Im Jahr 2014 hatte der FC Barcelona zum ersten Mal die Youth League gewonnen, doch aus dem Kader von damals spielt heute nur Munir erstklassig in der spanischen Liga, in Alaves. Adama Traore läuft in Middlesbrough auf, aber die meisten sind in spanischen B-Mannschaften verschwunden, manch einer ist sogar vereinslos.

Ein Youth-League-Titel öffnet also längst nicht die Pforte zu einer großen Karriere. Nichtsdestotrotz wird europaweit so gut und so professionell ausgebildet wie noch nie. Ein Talentewettstreit im großen Stil läuft, an dem sich nun auch deutsche Teams ernsthaft beteiligen. Der FC Bayern München, der den Zug der Zeit verpasst hatte und solche Talente wie die Nationalspieler Jonas Hector und Leroy Sané – oder auch Dayot Upamecano (RB Leipzig) – nicht haben wollte, hat 70 Millionen Euro ins Leistungszentrum investiert und war heuer bestes deutsches Team in der Youth League; im Achtelfinale sind sie gegen Real Madrid ausgeschieden. Am weitesten ist Schalke 04 in der Saison 2013/14 gekommen, bis in Halbfinale. Im Viertelfinale haben die Schalker damals 3:1 beim FC Chelsea gewonnen, „davon schwärmen manche auf Schalke immer noch“, sagt Peter Knäbel.

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